Singles zu vermitteln
Ursula März erzählt (halb)dokumentarisch von den Versuchen, dem Alleinsein zu entkommen: »Für eine Nacht oder fürs ganze Leben«
Sie zählt zu den renommiertesten Literaturkritikerinnen unserer Republik. Sie schreibt vor allem für »Die Zeit«. Auch Gerichtsreportagen. Sie hat Bücher veröffentlicht, u.a. »Fast schon kriminell. Reportagen aus dem Alltag«, und, zusammen mit Verena Auffermann, Gunhild Kübler und Elke Schmitter, »Leidenschaften. 99 Autorinnen der Weltliteratur«. Jetzt hat sie Geschichten von »Fünf Dates«, wie es im Untertitel heißt, zusammengetragen. Auch eigene Erfahrungen sind da mit eingegangen.
»Noch nie in der Geschichte der Menschheit« ist »so viel unternehmerischer Geschäftssinn aufgewendet« worden, »um den Homo sapiens unter die Haube zu bringen«. In fünf Fallstudien, meist über digitale Partnerbörsen, suchen Singles Kontakt. Martin Hügel, gut verdienender Ingenieur, interessiert sich nur für Frauen unter 60 Kilo. Total erstaunt ist er, als er Olivia trifft, die etliches mehr auf die Waage bringt, aber auf ihn erotischer wirkt als alle Frauen davor. »Hatte er sein bisheriges Liebesleben einem Irrtum geopfert?« Für Gerlinde Wagner, pensionierte Postbeamtin, war die Einsamkeit »zu einer Art Begleiterin« geworden, doch sie »träumte von einem Mann, mit dem das Leben noch einmal Feuer fing«. Über ein kostenloses Internetportal lernt sie einen temperamentvollen 70-Jährigen kennen, der sich als jugendlicher Sportsmann darstellen möchte. Leider läuft er mit offenen Augen in eine Glasscheibe, stürzt und hält sich jammernd die Stirn. Das war’s dann auch, »das ganze Wunschbild« war im Eimer. Dann meldet sich Rudi, 38jähriger Polizist. Sie vermutet sofort dahinter einen Perversen, ein »Jüngelchen… mitsamt seinen schmierigen Gelüsten«. Doch Rudi entpuppt sich als liebevoll und fürsorglich.
Ursula März schafft es, Menschen in ihrer Liebessehnsucht darzustellen, distanziert und auch ironisch, manchmal sogar komisch, ohne sie jemals lächerlich zu machen. Sie bleibt immer einfühlsam. Häufig lässt sie eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit Partnern in ihre Geschichten einfließen. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr ist sie auf schwarzhaarige Männer fixiert. Auf Stromboli verfällt sie noch einmal einem dieser attraktiven Jünglinge, aber danach ist sie für immer von diesem »Zwang« geheilt. Frau März beschreibt auch ihre eigenen Erlebnisse mit Ironie und ohne sich zu schonen. Thomas Lüttich, Internist, litt augenscheinlich »an der Junggesellenkrankheit Nummer eins: Selbstherrlichkeit«. Vor seinem 40. Geburtstag wollte er eine Familie gründen. Er erscheint der Interviewerin »eiskalt und von sich selbst gesättigt«. Maja Feldkirch, außerordentlich schön und reizvoll, verliebt sich auf Kuba in einen wesentlich jüngeren Musiker. Unter großen, auch finanziellen Schwierigkeiten, bringt sie ihn mit nach Hamburg. Dass das nicht gut gehen kann, wissen die Freunde von Anfang an. März interessiert sich besonders für den »Massentypus des Großstadtsingles«. Den versucht sie zu erforschen, zu verstehen und zu beschreiben. Und das gelingt ihr großartig. Sie glaubt, dass wir in der Liebeswahl keineswegs autonom sind. »In Wahrheit folgt die Liebeswahl einem unbewussten Plan, sie folgt Prägungen, die wir viel weniger steuern können, als uns recht sind.« »So gedacht wäre die Kuppelmaschinerie des Internets keineswegs die Guillotine der romantischen Liebe, sondern vielmehr die hohe Schule der romantischen Phantasie.« In der letzten Geschichte wird »Frau März« indirekt selbst zur Kupplerin. Jens Kessler, steht nervös und aufgeregt in einer Schlange, um zu einer Singleparty eingelassen zu werden. Der unbeholfene Jens hat sich bald in ein Mädchen verguckt, aber Ursula März sieht, dass ein viel raffinierterer Konkurrent versucht, ihm das Mädchen wegzuschnappen. Sie schafft es, den Nebenbuhler von der Party wegzulocken. An einer Tankstelle steigt er aus, um Zigaretten zu holen. Sie fährt weg. Auch die Autorin findet das »eine ziemliche Schweinerei«, aber der Leser hat (nicht nur dabei) seinen Spaß.