Wildes Werk
In der Geschichte der modernen Kunst gibt es kaum eine erstaunlichere, aufregendere Zeit als die 1960er Jahre. Vor allem in New York kulminiert die Kunst in diesen Jahren – hier entstehen die Künstlerkarrieren, welche für die kommenden Dekaden prägend sein werden. Es sind vor allem männliche Karrieren, wie jene von Robert Rauschenberg, Jasper Johns, John Cage, Nam June Paik, Andy Warhol, Willem de Kooning oder Claes Oldenburg. Auch die 1939 geborene Carolee Schneemann, der das MMK1 auf seiner dritten Ebene nun eine große Retrospektive widmet, beginnt in den Sechzigern mit der Kunst.
Ihre Performances rühren an Tabus. Denn es ist der eigene, nackte Körper, der zum Instrument der Kunst wird. Die Sexualität ist spätestens seit der Avantgarde-Kunst des frühen 20sten Jahrhunderts kein neues Thema, doch in der Art, wie das Eigene im Werk Schneemanns öffentlich gemacht wird, in der öffentlich ausgestellten Intimität, liegt die Brisanz der Kunst von Schneemann.
Schneemanns Werk ist wild. Sie arbeitet als Malerin, als Bildhauerin, als Schöpferin von Assemblagen und Materialcollagen. Die Einflüsse sind zahlreich: der Dadaismus, der Surrealismus, Fluxus, der Abstrakte Impressionismus. Bekannt wird sie aber vor allem mit ihren Performances, wie etwa »Eye – Body«: eine kunsthistorisch bedeutsame Aktion, die in Frankfurt durch schlicht gerahmte Fotografien dokumentiert wird. Die Performerin gibt hier eine Eva mit der Schlange, mit Farben verschmiert, sich räkelnd: Auch als Fotoserie ist diese 1963 aufgeführte Performance immer noch beeindruckend.
Die 1976 uraufgeführte Performance »Up To And Including Her Limits« ist in Frankfurt als inszenierten Raum mit sechs Bildschirmen zu sehen. Der nackte Körper der Künstlerin wurde damals, in einem Geschirr hängend, zum Zeichen-Instrument. Doch gerade hier wird die Problematik der musealen Re-Inszenierungen deutlich. Wie kann man das, was damals für den Moment gemacht war, nun auf eine museale Bühne bringen? Reichen Fotografien, Videodokumentationen, Zeichnungen oder Notizen, um performative Aktionen, Augenblickskunst, überhaupt darstellen zu können? So ist es auch mit »Meat Joy«. 1964 aufgeführt, bleibt die orgiastisch-lustvolle Performance mit vier Frauen und vier Männern in der MMK-Präsentation als Film sonderbar kalt – das obsessive Element hat sich verflüchtigt.
Ebenfalls in der Ausstellung vertreten sind verschiedene Exponate der malerischen Objektkunst von Schneemann, die in diesem Jahr bei der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde, wie etwa die Arbeit »Sir Henry Francis Taylor« aus dem Jahr 1961 oder auch neuere Arbeiten mit Knochen: eher unbekannte Zeugen eines Werks, das für seine Skandale bekannt ist – etwa für den experimentellen Avantgarde-Film »Fuses« aus dem Jahr 1965, der die Künstlerin beim Sex zeigt.
Ein Hauptanliegen der Schau ist es, den kinetischen Aspekt in Schneemanns Werk darzustellen. Und tatsächlich dreht sich in diesem Werk alles um Bewegung. Frühe »Painting Constructions«, Gemälde, die man mit simplen Mechanismen in Bewegung setzen konnte, auch dem abstrakten Expressionismus verpflichtete Landschaftsmalerei und Porträts, zeigen einen noch eher ungesehenen Aspekt in diesem dezidiert intermedialen Werk, das in Frankfurt mit rund 270 Werken in ganzer Breite bis in die Gegenwart vorgestellt wird. »Ich achte auf Bewegungen«, hat Carolee Schneemann einmal gesagt: »Die Bewegung in meinem Körper, die Bewegung außerhalb. In der Landschaft. Die Züge und Autos. Die Tiere. Die Bomben und Explosionen – die Bewegung ist der Schlüssel zu allem, was mich interessiert.«
Im Zentrum der von Sabine Breitwieser vom Museum der Moderne in Salzburg kuratierten Schau jedoch steht Schneemanns altes und stets aktuelles Thema, nämlich der Blick auf den weiblichen Körper und die Durchdringung des Privaten und Politischen. Dass einige der hier gezeigten Arbeiten in der Ausstellung – sonderbar prüde – nur verhüllt gezeigt werden, ist ein Aspekt, der zu denken gibt. Denn wen genau, will man hier vor was schützen? Jugendliche und Kinder vor der Avantgarde-Kunst der 1960er Jahre? Offenbar sind fleischeslustige, ekstatische Arbeiten wie »Meat Joy« Ausdruck einer unbefangenen, grenzüberschreitenden weiblichen Sexualität und damit noch immer ein Stachel im Fleisch der bürgerlichen Museumskultur.
Im »heiligen Eros«, in dem Wunsch nach Befriedigung der Sinne, in der Idee, den eigenen nackten Körper als Kraftfeld der Kunst einzusetzen, erkannte Schneemann – auch in Anlehnung an die Schriften von Georges Bataille – schon früh ihr großes Thema. Mit ihrem medienübergreifenden Gesamtwerk, das sich mit Arbeiten wie der ebenfalls in Frankfurt gezeigten Videoinstallation »Devour« bis in die jüngste Zeit fortschreibt, wurde sie zu einem Vorbild für viele nachfolgende Künstlerinnen. Zur Ausstellung ist eine umfassende Publikation über Carolee Schneemann erschienen.