Ein Fest jagt das nächste
Dem einen der beiden Schau-Stars der aktuellen Ausstellung »Athen. Triumph der Bilder« im Frankfurter Liebieghaus sind wir hier schon einmal begegnet: dem Riace-Krieger A. Vor gut drei Jahren war das. Da demonstrierte der Archäologe und Kurator Vinzenz Brinkmann an einer Rekonstruktion der 1972 auf dem Meeresgrund vor Kalabrien geborgenen und nach ihrem Fundort benannten Bronzestatue, wie lebensecht der Zwei-Meter-Mann hergestellt war. Vor allem, wie man die Figur vor zweieinhalbtausend Jahren mit Zähnen und Augen versah, beeindruckte. Schon »Zurück zur Klassik« suchte, antike Realität in der Blütezeit Athens vermitteln.
Wen aber der etwa 460 vor Christus modellierte Riace A vorstellt, das stand im Frühjahr 2013 noch nicht zur Debatte. Inzwischen sind sich die Altertumsforscher sicher, es mit Erechtheus zu tun zu haben, dem mythischen Ziehsohn der Athene und ersten König Athens. Auch die gleichgroße Statue des mit ihm gefundenen Kriegers Riace B, der ihm ebenfalls als Replik auch in Frankfurt Gesellschaft leistet, ist identifiziert: als der Thraker Eumolpos, Sohn des Meeresgottes Poseidon.
Den Schlüssel zu dieser sensationellen, doch noch nicht offiziell abgesegneten Entdeckung lieferte der griechische Geograph Pausanias in einem Reisebericht über die Tempelanlagen Athens, wo er zwei sich in aggressiver Haltung gegenüberstehende Figuren sichtete: »Den einen nennen sie Erechtheus, den anderen Eumolpos«. Die seitlich des Parthenon vor dem Erechtheion-Tempel aufgebaute Szene führt uns tief hinein in den Gründungsmythos der attischen Kapitale, deren Stadtgöttin, die Zeustochter Athene, dem Zorn des sich geprellt fühlenden Poseidon ausgesetzt war. Dramatisch zugespitzt hat sich der Konflikt nach dem hier angedeuteten Stellvertreter-Kampf mit dem Tod des thrakischen Kriegers. Es bedurfte nicht nur des Opfers von Erechtheus ältester Tochter, sondern auch seines eigenen Lebens, um den enragierten Poseidon mit der Athene-Stadt dauerhaft zu versöhnen.
Erstaunlicherweise verwendet man zumindest beim ersten Rundgang weit mehr Zeit zum Studium der spannenden Texte, Grafiken und manchmal gar filmischen Veranschaulichungen an den Wänden der Ausstellungsräume als zur Sichtung der gut 100 erstrangigen Exponate, die das Liebieghaus aus ganz Europa zusammengetragen hat. Tatsächlich verheißt »Athen. Triumph der Bilder« dem Publikum eine großartige Lehrstunde in griechischer Mythologie, was sich freilich schnell als nützlich erweist, das üppig vorhandene Anschauungsmaterial, die beziehungs- und anspielungsreichen Bilder und Symbolik auf Vasen, Amphoren, Fresken und Schalen mit reichlich Genuss goutieren zu können.
Perikles als der führende Politiker Athens und sein Chefplaner Phidias haben den Neuaufbau der zerstörten Stadt nach der Vertreibung der Perser nicht nur durch Bauten, sondern auch im jährlichen Feste-Zyklus eng mit ihren mythologischen Wurzeln verknüpft. Es ist das Goldene Zeitalter, das die Schau auf einer die zwölf Monate des Jahres umspannenden Zeitreise mit ihren religiösen Riten, Feiern und Zeremonien in zwölf Räumen zeigt. beginnend im Frühsommer (Juni/Juli) mit der Geburtsfeier Erechtheus und den panathenäischen Spielen. So weist die aus dem Louvre kommende Statue der »Athena mit Korb und Kind« die griechische Variante, vielleicht gar die Idee der unbefleckten Empfängnis aus. Die Jungfrau Athena konnte den Beischlafversuch des Feuer- und Schmiede-Gottes Hephaistos gerade so abwehren und wischte mit einem achtlos zur Erde geworfenen Wollknäuel dessen Samen ab, der – so passiert’s! – die Erdgöttin Gaia befruchtete und Erechtheus gebären ließ.
In ständiger Vergegenwärtigung der kulturellen Identität wird in erschlagender Drastik weder an Blut noch an Sperma, weder an Tränen noch an Wein gespart. Eine Fete jagt die nächste. Im ausklingenden Zyklus findet sich aber auch ein Reinigungsfest, bei dem die Athener in jedem Jahr zwei arme Sünder aus ihrer Stadt in einem grausamen Ritual zu Tode hetzten.
Den 13. Raum der Schau haben die Museumsmacher dem griechischen Mastermind Phidias gewidmet, ganz in Weiß finden sich hier Modelle und Pläne der Gebäude der Stadt. Das Goldene Zeitalter kam freilich nicht von ungefähr. Perikles hat die für den attischen Seebund erhobenen Kriegssteuern einfach für die Kultur verwandt und auch in dieser Hinsicht ein nachahmenswertes Beispiel gegeben.