Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet der skandinavischen Künstlerin Hannah Ryggen eine große Einzelausstellung

Anlässlich der diesjährigen Buchmesse – in der Norwegen als Ehrengast auftrat – gewährt die Schirn dem Publikum einen umfassenden Einblick in das eindrucksvolle Werk der schwedisch-norwegischen Künstlerin Hannah Ryggen (1894-1970). Mit rund 25 großen bis monumentalen figürlichen Tapisserien in moderner Formensprache, in denen sich Elemente aus Symbolik, Ornament sowie Volkskunst und Mythologie zeigen, lenkt die Künstlerin den Blick auf grundlegende gesellschaftliche Themen des Lebens: Verantwortung für die Natur, Verbindung zu Familie und Mitmenschen, Stellung der Frau, Machtpolitik, internationale Konflikte, Nationalismus und Faschismus.
Nach einer fundierten akademischen Ausbildung als Malerin verspürte Hannah Ryggen den dringenden Wunsch, etwas mit den Händen zu machen. Sie wandte sich autodidaktisch einem traditionellen Medium zu, der Weberei. Sie selbst bezeichnete sich jedoch als »eine Malerin, deren Werkzeug nicht der Pinsel, sondern der Webstuhl ist«. Auf einem kleinen Bauernhof in Norwegen, auf dem sie mit ihrem Mann lebte, entstanden ihre zum großen Teil von hoher Brisanz geprägten Kunstwerke zum politischen Zeitgeschehen, die zugleich ihren Lebensstil und ihre humanistischen, feministischen wie sozialistischen Überzeugungen spiegeln.
1936 entstand der »Hitlerteppich«, mit dem sie die Greueltaten des NS-Regimes und die Verstrickung der Kirche im Nationalsozialismus anprangerte und – als Zeichen der Unterstützung für den deutschen Publizisten Carl von Ossietzky – der Bildteppich »Tod der Träume«. Ossietzky wurde von den Nazis verhaftet, weil er die gegen den Versailler Vertrag verstoßende Wiederaufrüstung Deutschlands publik gemacht hatte. Er erhielt im gleichen Jahr den Friedensnobelpreis, starb jedoch zwei Jahre später an den Folgen seiner Inhaftierung. Eine dunkle und erschreckende Darstellung aus einer düsteren Epoche. Ebenso das Werk »Grini«. Ryggen schuf es nach der Inhaftierung ihres Mannes und zeigt ihn in Häftlingskleidung, hinter ihm rauchende Baracken und verängstigte Gesichter. Man hatte ihn beschuldigt, Kriegsgefangenen bei der Flucht aus Arbeitslagern geholfen zu haben.
Neben ihren großen Vorbildern Goya und Bonnard beeinflussten moderne Künstler wie Gauguin und Picasso ihre Arbeit. Die Schirn präsentiert den Teppich »Das Leben gleitet vorbei« (1939), eine Hommage an Paul Gauguin. Er entstand nach der Lektüre von Gauguins Reisebeschreibung »Noa Noa« über seinen ersten Tahiti-Aufenthalt. Die Künstlerin bewunderte ihn, da er den Mut gehabt hatte, die Monotonie der Routine zu durchbrechen, um ein neues, freies Leben zu beginnen. Picassos berühmtes Bild »Guernica«, ein Protest gegen den deutsch-italienischen Luftangriff auf das baskische Dorf 1937, animierte sie zu dem Wandteppich »Äthiopien«, ein ähnlicher Aufschrei über Mussolinis Feldzug gegen das afrikanische Kaiserreich.
Nach dem Krieg, in den 50er und 60er Jahren, erschuf Hannah Ryggen weitere Werke von starker Aussagekraft und zum Teil erschütternder Eindringlichkeit. In dem Auftragswerk »Wir leben auf einem Stern« für das Regierungshochhaus in Oslo thematisierte sie diverse grundlegende Lebensfragen. Dem norwegischen Kommunisten Jul Kvale, der offen gegen die nukleare Aufrüstung der NATO und die Beteiligung Norwegens protestiert hatte, setzte sie mit dem gleichnamigen Bildteppich ein Denkmal. Mit 72 Jahren schuf die Künstlerin die einzige ungegenständliche Tapisserie: »Blut im Gras«, ein vehementer Protest gegen den Vietnamkrieg und den damaligen Präsidenten. Ist die Welt seitdem besser geworden?
Hannah Ryggen war – wenn man so will – eine politische Aktivistin, die die Kunst als ihre Stimme benutzte. Obwohl ihr bislang kein fester Platz in der Kunstgeschichte eingeräumt wurde, erfahren ihre kritischen und expressiven Werke aus handgesponnener und pflanzengefärbter Wolle immer mehr Aufmerksamkeit in der Kunstwelt wie auch in der breiten Öffentlichkeit. Ihre Werke lassen den Betrachter eintreten in unsere Gegenwart. In eine Welt, die von zunehmender Ungleichheit, Nationalismus und Populismus geprägt ist.

Anne Kaben (Foto: Anders Solberg)
Bis 12. Januar 2020, Di. – So. 10 – 19 Uhr; Mi., Do. bis 22 Uhr
www.schirn.de

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