Wenn es einen Rahmen gibt, der würdig genug ist, die Wirkmächtigkeit seiner Bilder zu präsentieren, dann ist es der, den das Karmeliterkloster gewählt hat: Zeitungsseiten. Der Presse- und »Sensations«-Fotograf Mickey Bohnacker (1928–2017) begleitete über Jahrzehnte das Nachkriegsdeutschland mit seiner Kamera, war der rasende Fotoreporter für die Frankfurter Rundschau, die Abendpost, die Nachtausgabe (die später zusammen gelegt wurden) der Frankfurter Neuen Presse und auch der Lufthansa. Er begleitete die Ära, als Zeitungen eine ungeheuer wichtige Informationsquelle waren und eine Landschaft bildeten, in der man Orientierung für die Welt suchte.
Es gab einmal eine Zeit – und allzu lang ist sie jetzt nicht her – als Leser*innen sich vor den Schaufenstern der Geschäftsstellen der Zeitungen in der Innenstadt trafen, um die jeweils neuesten Zeitungsseiten dort zu lesen, weil sie sich ein Abonnement oder schlicht ein einzelnes Exemplar nicht leisten konnten. Und genau diesen Effekt erzielt jetzt die Ausstellungsarchitektur. Man trifft sich vor: Zeitungsseiten.
Karl-Heinz »Mickey« Bohnacker wurde 1928 in Bornheim geboren. Seinen Spitznamen »Mickey«, auch eine Anspielung auf seine geringe Körpergröße, entlehnte er der »Mickey Mouse« und ließ ihn später auch als Künstlernamen eintragen. Als die USA im Jahr 1948 die »German Youth Activities« gründete, wurde er schnell Mitglied und fotografierte mit seiner Boxkameras Prominente, was ihm Aufträge der US-Militärzeitung eintrug, Entlohnung wie damals üblich: Kaffee und Schokolade. Anschließend nahm ihn eine US-Bildagentur unter Vertrag, und sein Interesse an den USA war geweckt. Und Frankfurt sollte die »westlichste« Stadt Deutschlands werden. Seinen fotografischen Nachlass übergab er 2016/17 ans Institut für Stadtgeschichte. Und aus diesem Schatz präsentiert das Institut einhundert, in zwölf Kapitel gefasste Fotos aus der Zeit zwischen 1945 und 1965.
Es ist, als schaue man Frankfurt beim Wachsen zu – und tut es ja auch. Ein Stationen-Drama der gesellschaftspolitischen Entwicklung und des Einflusses US-amerikanischer Institutionen und Lebensmodelle auf den Frankfurter Alltag in der unmittelbaren Nachkriegszeit wird hier aufgeblättert: Fotos, ergänzt durch Zeitungsausschnitte von damals und sparsame Erläuterungen, wo der Kontext einer stärkeren Einordnung bedarf.
Sicher hat Mickey Bohnacker auch Prominente fotografiert – davon reichlich und immer in der ersten Reihe, weil er so klein war – aber seine Fotos illustrieren auch Sozialgeschichte, gesellschaftliche Wendepunkte, begleiten kulturelle Erscheinungen des Alltags. Vorm Kino, das den Film »Verbotene Straße« zeigte, bildeten sich so lange Schlangen wie heute vor dem Apple Store, Marika Kilius und Franz Ningel drehten auf der Rollschuhbahn am Untermainkai ihre Pirouetten. Latscha, der erste Selbstbedienungsladen, verdiente ebenso ein Foto wie Kaufhauschef Josef Neckermann beim Verschenken eines Lotteriegewinns an eine Mitarbeiterin. Elvis Presley flaniert lässig mit einer Freundin durch die Straßen – es ist nicht Priscilla – Helga Matura sitzt am Steuer ihres Mercedes. Aufnahmen vom Dreh-Restaurant des Henninger Turms verewigen stolz die Modernität der Stadt, die mit dem Main-Taunus-Zentrum vor ihren Toren das erste Einkaufszentrum Europas eröffnen konnte. Vom Flughafen und seiner Strahlkraft hinaus in die Internationalität ganz zu schweigen.
Ein Kapitel widmet sich dem Umgang mit der NS-Zeit, verweist auf Treffen des Landesrabbiners Isaak Emil Lichtigfeld mit dem damaligen Kultusminister Ernst Schütte, zeigt den neuen jüdischen Friedhof an der Eckenheimer Landstraße.
Dass US-Militärfahrzeuge offenbar nichts Ungewöhnliches im Straßenbild waren, zeigt eine Aufnahme Bohnackers von einem Amphibienfahrzeug in Stockstadt 1955. Die politische Bühne bot sowieso genügend Stoff für deren fotografische Verarbeitung: Treffen der Botschafter mit Eisenhower, der Besuch John F. Kennedys, das war einwandfreies Zeitungs-Nachrichtenmaterial. Eine Demonstration gegen Wehrpflicht und Wiederbewaffnung aus dem Jahr 1955 legt offen, dass die Protestierenden Vertreter*innen der denkenden Mittelschicht waren und nicht unbedingt zum studentischen Kreis gehörten, was dann doch sehr angenehm überrascht. Es soll nicht die einzige Überraschung bleiben in dieser liebevoll gestalteten Ausstellung.
Susanne Asal
Foto: Das Plakatmotiv zur Ausstellung, aufgenommen circa 1952
© Institut für Stadtgeschichte, Foto: Mickey Bohnacker
Bis 7. Juni 2026: Mo.–So., 11–18 Uhr
www.stadtgeschichte-ffm.de