Zumindest wenn man sich auf die Website home-ffm-tlv.com begibt. Wer sie öffnet – und das sollten bitte ganz viele tun – dem öffnet sich eine virtuelle Galerie mit Arbeiten von zwölf Künstlerinnen, die sich Tag für Tag neu füllt. Wir spazieren darin herum wie in einem Werkraum, können bei der Arbeit zusehen und die beteiligten Akteurinnen persönlich kennen lernen. Wir erleben mit, wie eine Ausstellung entsteht.
Diese Idee haben das Frauenreferat Frankfurt und die Stadtverwaltung von Tel Aviv gemeinsam entwickelt. Und die Umsetzung begeistert. Hier wird eine Not nicht zur Tugend, sondern zu einem wundervoll überzeugenden Konzept. Plötzlich erscheint der virtuelle Raum nicht mehr als ein Zwang, dem man sich in Pandemie-Zeiten zu unterwerfen hat, sondern wie eine neue Spielart, die Grenzen überspringt und Menschen zusammenbringt. So war das ja alles Mal gedacht und man kann diesen klischierten Slogan auch kaum mehr hören, aber dieses virtuelle Museum füllt ihn aufs Schönste mit neuem unverbrauchtem Inhalt.
Das Thema, zu dem die Kuratorinnen Sonja Müller und Michal Schwartze, eine queere Aktivistin, jeweils sechs Künstlerinnen aus Tel Aviv und Frankfurt eingeladen haben, lautet »home«. Daran geknüpft ist ein Stipendium, das für die Arbeit an dem Projekt bestimmt ist. Das Motto wirkt auf den ersten Blick abgedroschen. Heimat, home, Home-Office, Home-Schooling, man mag es ja schon nicht mal mehr buchstabieren, um es aus seinem Horizont zu verbannen, aber da steht es nun, unverrückbar, und so wie es aussieht, werden wir uns alle noch eine ganze Weile damit beschäftigen müssen.
»Home« aber bedeutet gleichzeitig »Heimat« und »Zuhause«. Aus dieser Doppelbedeutung beziehen die 12 Künstler*innen(kollektive), ihre Antworten. Wie ist diese Heimat, wie ist das Zuhause konnotiert? Heimat – in Deutschland ein sehr befrachteter, zu Disputen anregender Begriff – bedeutet für Israel*innen, Jüd*innen in Tel Aviv etwas anderes, oder nicht?
Und plötzlich offenbart sich das doch so ausgereizte und bis zur Ermüdung strapazierte Internet als Transporteur künstlerischer Positionen als ein ganz frisches springlebendiges Medium, als ein Assoziationsraum, ja wirklich als eine Heimat, oder sagen wir besser vielleicht ein Ort, an dem die Frauen sich untereinander austauschen, über ihre Projekte informieren und sie präsentieren können, eines nach dem anderen. Sie sollen sich, das ist die Absicht, einander kennen lernen, miteinander in einen künstlerischen Dialog treten, sodass am Schluss ein Mosaik, ein Gewebe der verschiedenen Positionen entstanden sein wird. Und das Schöne ist: das tun sie.
»Im Kontext einer globalen Pandemie braucht es mehr denn je gemeinsame Orte für Dialog und Solidarität«, sagt die Kuratorin Sonja Müller.
Jede der Künstler*innen stellt sich in einem eigenen Bereich selbst vor, begründet ihre Position, erklärt ihr Kunstwerk. Es sind: Elianna Renner, Swoosh Lieu, Bárbara Luci Carvalho, Xinan, Julia Mihály, Anny und Sibel Öztürk aus Frankfurt und Idit Herman, Naama Roth, Noga Or Yam, Rotem Volk, Vered Nissim, Mayaan Danoch aus Tel Aviv.
Eine hervorragende Idee, die noch dadurch akzentuiert wird, dass die Künstlerinnen in unterschiedlichen Disziplinen beheimatet sind und verschiedene Positionen vertreten. Es sind Filmemacher*innen, Tänzer*innen, Musiker*innen, bildende Künstler*innen, Fotograf*innen, sie sind Aktivist*innen, Feminist*innen, aber »sie verstehen sich nicht gleichermaßen als Frauen«.
Ein Projekt nach dem anderen füllt jetzt diese Webgalerie und macht uns praktisch zum Zeugen dieses Prozesses und auch der Kommunikation unter den Künstlerinnen untereinander. Sie verraten ihre persönliche Geschichte und zeigen Hintergründe auf, zum Beispiel Eliana Renner, die zerschlissene, alte Küchenhandtücher wunderschön mit Perlen und Ziergarnen bestickt und an die mühselige Hausarbeit von Frauen erinnert, die sich mit ihren Aufgaben verbraucht haben und nie im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Sie stellt ihre Produktion unter das Motto »Senhejma«, heimatlos auf Esperanto, in dem sich das deutsche »Heim« und das jiddische »heym« spiegeln. Und möchte die weiteren Künstler*innen dazu ermuntern, über Migration, Vertreibung, Schweigen, Heimatlosigkeit, Marginalisierung und Heimweh zu assoziieren.
Julia Milhály nimmt Alltagsgeräusche in ihrer Wohnung auf und will sie später mit den Hausgeräuschen anderer Teilnehmerinnen zu einem Klangteppich verweben.
Was geschieht während des Eingeschlossenseins in der Pandemie mit dem eigenen Körper? Kann er eine »Heimat« sein? Dieser Frage wird Bárbara Luci Carvalho nachgehen, Ensemblemitglied des Antagon Theaters.
Noga Or Yam ist eine queere Feministin, die sich in ihrer Arbeit »Fog of War« mit der Frage beschäftigt, wo sich öffentlicher und privater Raum während der Pandemie abgrenzen und wieviel Schutz privater Raum bieten kann.
Die Multimediakünstlerin Vered Nissim erzählt, wie sie immer davon fasziniert war, dass Zuhause mit Intimität und Frauen gleichgesetzt wurde, deren »home«, Zuhause, zugleich Schutzraum und Gefängnis bedeutete. Ihr Projekt heißt »Sarah sings« und zeigt ihre Großmutter, die einen israelischen Popsong singt. Frauen dürfen im jüdischen Glauben nicht in der Öffentlichkeit singen, nur zuhause, und so werden wir ihre Nachbar*innen und Verwandten beim Singen sehen können.
Klingt das nicht wunderbar spannend?
Bis Mitte, Ende März soll diese Galerie dann gefüllt sein und voraussichtlich im Herbst 2021 in Tel Aviv und im Frühjahr 2022 in Frankfurt zu sehen sein.
Susanne Asal (Foto: Barbara Luci Carvalho, Corpus Mundi, © Stefan Chytrek)