Hypnotisierend – »Soul Chain« und »Trailer Park« zurück am Staatstheater Mainz

»Soul Chain« hat Tanzmainz Türen geöffnet. Für die knapp einstündige Choreografie der Israelin Sharon Eyal wurde das Ensemble des rheinland-pfälzischen Staatstheaters nicht nur 2018 mit dem renommierten Faust-Theaterpreis ausgezeichnet; die Produktion ist seit ihrer Uraufführung 2017 weltweit, von Berlin über Paris bis New York, gefragt. Nun ist sie nach längerer Pause auch wieder an ihrem Ursprungsort zu sehen.
Die Techno-Beats des Musikers und DJs Ori Lichtik treiben die Tänzer*innen dabei in staksigen Trippelschritten auf halbhoher Spitze und mit gebeugten Knien im Gleichschritt über die Bühne. Sie tragen hautfarbene Trikots und helle Strümpfe. Die Hände schmiegen sich an die Hüften, die Köpfe rucken zur Seite. Die Bewegungen bleiben minimalistisch, und doch büxt immer mal einer oder eine aus, widersetzt sich der Synchronität, ohne den Rhythmus zu verlieren, streckt die Arme zur Decke, krallt die Finger zu Klauen. Ein fesselnder Rausch, der das Publikum hypnotisiert und ihm allein beim Betrachten eine Ahnung davon gibt, wie anstrengend dieses Höchstmaß an Kontrolle, dieser tänzerische Leistungssport für die Beteiligten sein muss.
Wie ein Kontrapunkt zu dieser kühl wirkenden Inszenierung mit sehr reduziertem Bewegungsmaterial, bei der Exaktheit und Präzision dominieren, wirkt »Trailer Park«, das Stück, mit dem sich die Kompanie im August aus der Sommerpause zurückmeldet. Die Vielfalt an Moves, die der Münchner Moritz Ostruschnjak hier mit zehn Akteuren serviert, ist vom Internet inspiriert. Aus Schnipseln, die in den Sozialen Medien zusammengeklaubt wurden, ist eine wilde Collage entstanden, ein Park voller Trailer eben. Die Tänzer*innen tragen Sportkleidung mit Werbeaufschriften, die darauf hinweisen, dass die Influencer dafür bezahlt werden, in ihren Posts Produkte zu platzieren. Ein paar Dosen Energy-Drinks betonen dies zusätzlich. Auf ihnen wird ein Paar abgesetzt, gezwungen, die Balance zu halten, damit nicht alles zusammenbricht. »Somewhere Over the Rainbow«, singen die beiden. Schräge Mimik ergänzt den Hip-Hop-Stil, Finger greifen hinein in die Gesichter, als würden sie unsichtbare, erschreckende Masken abziehen. Die Musik reicht von alten Country-Songs bis zu einem in die Länge gezogenen Schlager von Roy Black. Das »Du bist nicht allein« lässt sich auch auf das Sichtbare beziehen: Obwohl jeder als Solist hüpft und ungesichert fällt, verbindet alle doch etwas Gemeinsames. Dass sie Darstellende auf Bildschirmen sind, betonten sie, indem sie sich nach vorne ausrichten.
Der 1982 in Marburg geborene Ostruschnjak, als Skateboarder und Breakdancer in jungen Jahren selbst ein Straßenkind, verknüpft das, was sich als kritisch lesen lassen könnte, mit so viel Bewegungsreichtum, dass das Positive dieser neuen Tanzplattform als Lieferant für Inspirationen hängen bleibt. Der Mainzer Saisonauftakt, obgleich mit schon bekannten Produktionen, macht Lust auf das, was Honne Dohrmann sich für die nächsten Monate sonst noch ausgedacht hat. Der Direktor von Tanzmainz hat mit der nun schon viele Jahre währenden Zusammenarbeit mit Eyal einen großen Coup gelandet und nicht nur mit diesem Glücksgriff eine gute Basis gelegt für die Französin Annabelle Bonnéry, die ihm im August 2027 nachfolgen wird, um weitere Türen zu öffnen.

Katja Sturm
Foto: »Soul Chain«, © Andreas Etter
Trailer Park: 22.08., 19.30 Uhr
Soul Chain: 14.09., 18 Uhr + 19./20.09, 19.30 Uhr + 21.09., 18 Uhr +  03.10., 18 Uhr
www.staatstheater-mainz.de

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