»Intrige« von Roman Polanski

Als bekannt wurde, dass Roman Polanskis neuer Film von dem Fall Dreyfus handeln werde, vermutete man, dass er sich mit dem französischen Justizopfer identifiziert haben könnte. Schließlich droht dem Regisseur bei der Einreise in die USA ein Prozess wegen der Vergewaltigung einer Minderjährigen und in der Folge eine lange Freiheitsstrafe.

Den Verdacht hat er schon dadurch zu entkräften versucht, dass er auf Anregung von Robert Harris, dem Autor des Romans, nicht den jüdischen Hauptmann Dreyfus, sondern Marie-Georges Picquart zur Hauptfigur gemacht hat. Der Ermittler stellt sich einer Woge des Antisemitismus entgegen.
Als Regisseur hat sich Polanski auch bei diesem Projekt seinen klaren, emotionslosen Blick bewahrt, der seine besten Filme, beginnend mit »Das Messer im Wasser«, schon immer gekennzeichnet hat. »Intrige« fängt mit der detailliert geschilderten Degradierung des Hauptmanns Dreyfus an, der vor versammelter Hundertschaft die Abzeichen und Knöpfe von seiner Uniform abgetrennt bekommt. Des militärischen Verrats an Deutschland schuldig gesprochen, wird er nach der entwürdigenden Zeremonie auf die abgelegene Teufelsinsel im Atlantik verbannt. Louis Garrel, der ihn darstellt (und gerade auch in »Little Women« im Kino zu sehen ist), tritt erst am Ende, zu seiner Rehabilitierung, wieder in Paris auf.
Dagegen ist der Name Dreyfus von 1894 an für Jahre in Frankreich allgegenwärtig. Der gerade zum Geheimdienstchef beförderte Oberst Marie-Georges Picquart glaubt zunächst auch an dessen Schuld. Jean Dujardin, dem die Hauptrolle in »The Artist« einen Oscar eingebracht hat, spielt ihn. In Polanskis Film gelingt es ihm, trotz seines zeitgemäß-militärischen Gebarens den Gewissenskonflikt, in den er gerät, deutlich zu machen. Ohnehin befolgt er nicht immer die gesellschaftlichen Regeln, pflegt er doch ein Verhältnis mit der verheirateten Pauline Monnier, die von Polanski-Gattin Emanuelle Seigner verkörpert wird.
Picquart entdeckt Ungereimtheiten, gefälschte Beweise für die Schuld von Dreyfus und unterdrückte Beweise für dessen Unschuld. Und er forscht weiter, sogar als ihm dies von seinen Vorgesetzten untersagt wird.
Der Film nimmt die Züge eines Thrillers an, zumal Picquart den Befehl erhält, über die Unschuldsbeweise zu schweigen. Doch er miss-achtet den Befehl und bekommt einen prominenten Mitstreiter: den angesehenen Autor Émile Zola, der sich in einem offenen Brief über die Verurteilung von Dreyfus empört. Unter dem berühmten Titel »J’Accuse« erscheint dieser in der Zeitung »L’Aurore« und bringt seinem Verfasser einen Prozess ein.
Es stellt sich nämlich immer deutlicher heraus: allein die Tatsache, dass Dreyfus Jude ist, macht ihn zum potentiellen Vaterlandsverräter. So ist Polanskis Film nach dem Meisterwerk »Der Pianist« seine zweite Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, der die europäische Kultur vergiftet hat. Und der Antisemitismus nährt sich daraus, dass die Schuld an der Kreuzigung von Christus nur den Juden und nicht der Menschheit allgemein gegeben wird.
Nach Polanskis Angaben ist der Film ein gemeinsames Projekt mit Robert Harris, der zunächst den Roman schrieb. Der kam unter dem Titel »An Officer and a Spy« heraus. Es verwundert, dass der deutsche Verlag den nichtssagenden Titel »Intrige« wählte. Polanski, der auf Französisch als Produktionssprache bestand, entschied sich für den Titel des Zola-Textes: »J’accuse«. Ihn auch in Deutschland zumindest zu erwähnen, hätte dem Film gerade unter älteren Kinobesuchern mehr Aufmerksamkeit verschafft.
Die hat er in Frankreich bekommen, vor allem auch durch die #MeToo-Bewegung und vermutlich nicht so ganz im Sinne der Produzenten. Denn nach erneuten Vergewaltigungsvorwürfen gegen den Regisseur gab es Proteste von denen, die nicht gewillt sind, das Werk von der Person Polanski zu trennen.

Claus Wecker (Foto: © Guy Ferrandis)
INTRIGE (J‘accuse)
von Roman Polanski, F/I 2019, 132 Min.
mit Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner, Grégory Gadebois, Hervé Pierre, Wladimir Yordanoff
nach dem Roman von Robert Harris
Drama
Start: 06.02.2020

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert