Politisch Lied, garstig Lied
Es ist mittlerweile der fünfte der Marthaler-Romane von Jan Seghers, dem Pseudonym des Schriftstellers, Kritikers und Essayisten Matthias Altenburg. Sein Frankfurter Kriminalkommissar Robert Marthaler, clever und scharfsinnig, doch auch vom Schicksal gebeutelt, kennt, wenn es um die Wahrheitsfindung geht, kaum Kompromisse und bekommt dadurch bei Fällen, in die auf die eine oder andere Weise die Politik hineinspielt, zuweilen mächtige Probleme.
Frühjahr 2008. Der hessische Ministerpräsident Rolf-Peter Becker (und wer von einem Bäcker spricht, muss nicht gleich an einen Koch denken), ein Liebhaber von Süßigkeiten aller Art und der Zeichentrickserie »Duffy Duck und Porgy Pig«, hat ein Problem. Landtagswahlen stehen vor der Tür. Seine Popularität schwindet. Seine Herausforderin, Sabine Xantopoulos, SPD, (und wer hier an Andrea Ypsilanti denkt, muss sich wirklich nicht schämen), gewinnt in der Gunst der Wähler. Das heißt: die Hütte brennt. Dass die Frau, die schon mit ihrem Namen für eine progressive Integrationspolitik steht, Ministerpräsidentin wird, muss mit allen Mitteln verhindert werden. Da darf man nicht kleinlich sein. Entsprechendes Personal steht zur Verfügung. Der Sprecher der Landesregierung Udo Klotz, jovial, kaltschnäuzig, aber auch trinkfest, oder Arne Grüter, ein schmieriges Ekelpaket und Redakteur des »City Express«. Und für die Sonderaufgaben Axel Rotteck, der sozusagen hauptberuflich als verdeckter Ermittler gegen Drogenhändler für das LKA arbeitet. In seinem Weltbild, das schlicht sein mag, unterscheidet er säuberlich zwischen Polizisten und Bullen. Die einen sind Beamte, an Gesetz und Moral gebunden. Die Bullen hingegen müssen ihre eigenen Interessen nicht immer hintanstellen, dürfen vielmehr auch ein bisschen was in die eigene Tasche wirtschaften.
Diesmal hat sich die Staatskanzlei etwas Besonderes einfallen lassen: Dem Baron von Münzenberg, MdL und kurz davor, von der CDU zur SPD zu wechseln, will man kinderpornographische Bilder unterjubeln. Rotteck wird die Hausdurchsuchung leiten. Der Fund soll natürlich politisch entsprechend ausgeschlachtet werden. Der Ministerpräsident wird es seinem Ermittler danken. Doch: denkste! Da geht nämlich einiges schief. In verschiedenen, miteinander verschränkten Erzählsträngen verzweigt sich die Handlung. Tobias Süleyman, als Vierzehnjähriger von zu Hause ausgerückt und auf dem Weg zu einer Karriere als Kleinkrimineller, zurzeit hält er sich mit bezahltem Sex über Wasser, wird zufällig Zeuge eines Motorradunfalls. Der Fahrer landet tot im Straßengraben. Nach seinem Motto: »Es war, wie es war, es kam, wie es kam«, nimmt Süleyman die Hinterlassenschaft des Toten an sich: Brieftasche und einen Umschlag mit kinderpornographischen Bildern. Er wittert ein großes Geschäft.
Zur gleichen Zeit kommt Anna Buchwald – Marthaler-Fans kennen und lieben die flotte und witzige Journalistin aus Hamburg – wieder einmal nach Frankfurt. Sie vermisst ihre ältere Freundin und Kollegin – und findet sie, leider aber tot. Jetzt muss Marthaler, Leiter der 1. Mordkommission, ran. Doch noch während der Spurensicherung erscheint unser Freund Rotteck vom LKA und reißt den Fall mitsamt der Leiche an sich. Auch der arme Süleyman kann jetzt erkennen, worauf er sich eingelassen hat. Erst wird sein kleines Häuschen verwüstet, klar, wonach man suchte, dann wird es abgefackelt.
Seghers versteht es, Fährten zu legen und seine Leser doch immer wieder auf den Leim zu führen. Glaubt man sich endlich am Ziel, findet man sich in einer Sackgasse wieder. Natürlich erfahren wir auch wieder etwas von Marthalers persönlicher Geschichte, seinem gescheiterten Heiratsantrag und der Hoffnung, die bekanntlich als letzte stirbt. Die hohe Politik und die schmutzigen Geschäfte, das alles spielt sich auf – uns vertrautem – Gelände ab. Wir kennen die Figuren, auch die Straßen und Plätze, auf denen sie sich bewegen. Der Kriminalfall erscheint, bei Lichte betrachtet, als eine Art hessischer Heimatroman.