Kein Krieg (111)

Jetzt kämpfen alle gemeinsam – zumindest gegen den IS: Russen, Franzosen, Amerikaner – nur in Sachen Assad ist man sich uneinig.
Für Claus Kleber vom ZDF sind dabei die Amis »unentschuldbar« an allem schuld. Das ist zwar irre – aber mit diesem Irrsinn steht er nicht allein. Irre sind auch die Leserbriefe der islamischen Welt – z.B. auf Al Arabiya. Da wird argumentiert, Amerika und Israel hätten die Anschläge in Paris initiiert (so wie damals bei 9/11), und gleichzeitig behauptet, die Feinde des Islams hätten Terror und Leid verdient, die westliche Aufregung über ihre Toten sei pure Heuchelei. Beides zusammen geht aber nicht. Erschütternd ist, wie ungerührt der Verlust von Menschenleben hingenommen, ja begrüßt wird. Derweil und endlich haben viele im Westen erkannt, dass die beliebte psycho-sozial-ökonomische Begründung (Ungerechtigkeit, Elend, Chancenlosigkeit etc.) den Erfolg des IS nicht erklärt. Dessen Anziehungskraft besteht eher darin, dass er Abenteuer, Sinn und Bedeutung verspricht, ein überhöhtes Leben also und einen glorreichen Tod. Wir haben es demnach mit einer Art Jugendbewegung zu tun, die Elemente des arabischen Frühlings mit Islam und Kommunismus verknüpft und gleichzeitig den Muslimen der Welt »erklärt«, warum sie in den letzten 300 Jahren nichts mehr auf die Reihe gekriegt haben – und dies nach einer glorreichen, vielhundertjährigen Geschichte. »Wir sind die wahrhaft Gläubigen«, heißt das implizit, »wir halten uns an die ewigen Regeln des Korans. Aber die Ungläubigen fahren all den Wohlstand ein, der im Prinzip uns gebührt. Also lasst sie uns töten«. Zwar haben z.B. Franzosen und Engländer tatsächlich die Araber verarscht (Stichwort Sykes-Picot-Abkommen 1916), die meisten Opfer vom islamistischen Terror sind jedoch Muslime – und eine solide Erklärung für den Hass der Muslime aufeinander, von Schiiten auf Sunniten und umgekehrt, ist das nicht.
Uns hier im Westen fällt nichts Besseres dazu ein, als Kriegsdrohungen auszustoßen und das edle Lied unserer »Werte« zu singen, das hohl wie Pfeifen im Keller klingt, wenn man bedenkt, dass aus Angst vor Anschlägen Fußballspiele abgesagt, Ausgangssperren verhängt und Innenstädte lahmgelegt werden.
Zum Trost sei die Prognose gewagt, dass der IS langfristig chancenlos ist, denn er hat, einmal unterstellt, er könnte »siegen« (worin auch immer der Sieg bestünde), keine Idee für eine in Frieden und Freiheit funktionierende Gesellschaft mit einer halbwegs gesunden Ökonomie. Mit Erpressung, Geiselnahmen und Schutzgeld, Frauen-, Sklaven- und Drogenhandel ist nun mal kein Staat zu machen. Weltraumforschung und Mittelalter: das geht nur in Fantasy-Romanen zusammen.
Die Gefahr besteht allerdings, dass der IS ein Katalysator ist, der die gesamte Welt zum Durchdrehen bringt.

Kurt Otterbacher

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