In den Siebzigern war mehr Lametta
Ein bisschen Glam, wenn man so will, war noch dabei, als David Johanson im weit aufgeknöpften hellblauen Seidenhemd an der Batschkapp-Rampe genüsslich mit der Zunge über die Lippen seines Mick-Jagger-Mundes fuhr. Doch die schwülstige Geste war ein selbstironisches Zitat auf dem Konzert der temporär wiederbelebten Überlebenden der New York Dolls vor gut zwei Jahren.
Die Frontpuppe der Dolls hat es mittlerweile ins Museum geschafft, respektive in die Schirn. »Glam. The Performance of Style« heißt dort die von der Tate Gallery in Liverpool weitgehend übernommene neue Ausstellung, auf der Johanson wie im richtigen Musikerleben die große Bühne Kollegen wie Bowie oder Bolan überlassen muss. Erstaunlich nur: Im Gegensatz zum Punk blieb sein artifizieller Antipode völlig unbeachtet . Selbst in England, wo die Glam-Ästhetik entstand, musste Kurator David Pih seine Recherche bei null beginnen.
Den Wenigsten dürfte bekannt sein, dass der Glamour- und Glitzerstil der Siebzigerjahre ein Kopfprodukt der britischen Kunsthochschulen ist. Folgt man Pih, dann stand vor allem Roxy-Music-Gründer Bryan Ferry im Fokus seiner stark über die Musik vermittelten Anfänge. Art Rock nannte man das. Der inzwischen zum Aznavour des Pop mutierte Sänger war Schüler und zugleich mit dem Roxy-Music-Projekt auch eine Schöpfung des in Newcastle dozierenden Malers und Grafikers Richard Hamilton.
Dass Glam auch an die amerikanische Pop-Art anlehnt, wird dem Besucher noch vor dem Betreten der
Schirn in der Rotunde vor Augen geführt, wo ein paar Dutzend kopfkissengroße silberne Ballons im Zugwind steigen und fallen und gelegentlich auch entwischen: ein Nachbau von Andy Warhols Installation »Clouds« aus dem Jahr 1966. Drinnen angekommen, werden hinter dicken Strähnen flirrenden Lamettas – hallo Loriot – in dunklen labyrinthischen Gängen über 100 Exponate präsentiert.
Viel dokumentarisches Sammelwerk ist arrangiert: Schallplattenhüllen, Poster, Mode, Accessoires, Konzertplakate, jede Menge Fotografien, auch kleine Filme, wie der vom Besuch des jungen, noch langhaarigen Bowie in Warhols Factory. Irgendwann dringt ausgerechnet Janis Joplin ans Ohr, die eigentlich für das Gegenteil steht, herrlich ist ein Clip von The Moodies, die von einer Parodiegruppe zur Kult-Band avancierten.
Die Uni-Abschlussarbeit von Gilbert & George als »Living Cultures« im Film, Bilder von Cindy Sherman, Querverweise auf Filme wie »Performer« (mit Mick Jagger), Kubricks »Clockwork Orange« und die »Rocky Horror Picture Show«, die Diaprojektion »Transformer« von Katharina Sieverdings (vielleicht der künstlerische Höhepunkt der Schau), ein Exponat der berüchtigten Serie »furniture sculptures« von Allen Jones von 1969 oder Franz Gertschs frühes fotorealistisches Großformat »At Lucianos« verweisen darauf, dass nicht alles Musik oder Mode war, was Glamour trug und glänzte.
Die Schirn wird die bis September dauernde Schau fortlaufend mit Events begleiten. Ob man sich bei den Führungen lieber von Jean-Christoph Ammann oder Bäppi LaBelle leiten lässt, ist wohl eine Frage der Neigung.