Auf ewig jung und Rebell
»Jean-Michel Basquiat ist einer der bedeutendsten Maler des 20 Jahrhunderts. Sein Name ist ein Synonym für Coolness.« Mit diesen beiden denkwürdigen Sätzen leitet Museumsdirektor Philipp Demandt sein Vorwort im Katalog zur neuen Schirn-Ausstellung »Basquiat. Boom for Real« ein. Eine »kühne These« kommentiert den ersten davon der durchaus kulturaffine Bekanntenkreis des Chronisten. Über »schon mal gehört« geht dort das Wissen um Basquiat am Eröffnungstag noch nicht hinaus. Sehr wahrscheinlich aber nach dem großen medialen Niederschlag, dass sich das inzwischen geändert hat.
Erstaunlich ist diese Unwissenheit freilich nicht und gewiss kein Zeichen der Ignoranz. Die Ausstellung in der Schirn ist nicht nur die allererste Basquiat-Retrospektive in Deutschland, sondern gerade mal die zweite dem Künstler hierzulande gewidmete Einzelausstellung – über 30 Jahre nach der ersten 1986 in Hannover, noch zu seinen Lebzeiten. Damit nicht genug hängt in der deutschen Museumslandschaft ein einziges Werk von Basquiat: das hier auch zu sehende Ägypten-Tryptichon »Ishtar« des Aachener Ludwig Forums.
Seltsam das alles, obwohl der 1960 geborene farbige New Yorker 1982 der bis dahin jüngste ausstellende Künstler der Documenta ist, und ein »Untitled«-Titel unlängst für 110 Millionen Dollar über die Ladentheke geht. Vielleicht liegt es aber auch an der Schwierigkeit, Basquiats wie aus dem Nichts entstandenes Crossover-Schaffen, das Malerei, Musik, Performance, Film, Streetart und noch viel mehr umfaßt, unter einen Kunsthut zu bringen.
Was das »Synonym für Coolness« angeht, das Demandt für ihn proklamiert, genügt es fast, seiner charismatischen Ausstrahlung gewahr zu werden auf den Fotografien und Filmen aus Clubs und Ateliers, die hier auch zu sehen sind. Dabei fängt alles, auch der Rundgang, mit seiner Straßengraffitis an, die hier eine Wand lang auf Fotografien von Henry Flynt zu sehen sind. Unter dem Pseudonym Samo© (same old shit) katapultierte sich der 16/17-Jährige mit poetisch-mystischen Kommentaren auf Wänden und Mauern Manhattans in die New Yorker Kunstszene. Einmal entdeckt, taucht der ruhelose, ungemein wissenshungrige und permanent produzierende Sohn eines haitianisch-puerto-ricanischen Paares aus Brooklyn in die avantgardistische In-Crowd des Big Apple und nimmt augenscheinlich alle in Beschlag. Basquiat verkehrt im Mudd Club mit Andy Warhol, John Lurie, Madonna und Keith Haring, wird zu Talk-shows eingeladen, im Film »Downtown 81« verewigt und – endlich, endlich – nach seinem Durchbruch auf der legendären Kunstschau »New York/New Wave« als einziger afro-amerikanischer Künstler ›famous‹ und Superstar. Auch dieser Traum spiegelt sich auf seinen Arbeiten und in einem seiner Icons, der dreizackigen Krone.
Wer sich in seine Collagen, Schriften, Bilder vertieft, wird Zeit brauchen all die Hinweise und Zeichen zu verstehen, die das fast uferlose Interesse des Autodidakten spiegeln, der nie eine Kunstakademie von innen gesehen hat. Alte und neue Geschichte, Anatomie, Jazz, Football und Comic-Kunst, Funk-Music und Künstler wie Picasso, Armstrong, da Vinci oder William Burroughs, aber auch TV-Soaps und die Politik beschäftigten ihn. Basquiat hat sich über sein gesamtes Schaffen hinweg leidenschaftlich gegen Rassismus, Unterdrückung, Kolonialismus und Ausbeutung engagiert. Seine blutrot bespritzte bitter-ironische Klebearbeit »We have decided, the bullet must have been going very fast« von 1980 zu einem Polizei-Statement ist eines der eindrucksvollsten Exponate der Schau und mehr eine Kollision als eine Collage. Von der musealen Patina, die Künstler wie Warhol, Twombly oder auch Beuys inzwischen ansetzen, ist bei diesem Rebell nichts zu sehen. Bis auf Weiteres: Forever Young.