Hans Rosenthal und der Post-Sozialismus
Kalter Krieg, Überwachung, Widerstand: Kaum zu glauben, dass ein simples Musikratespiel von Rias Berlin einen tiefen Blick in die deutsch-deutsche Postgeschichte gewährt. Vier Jahre nach dem Mauerbau legt der Westberliner Radiosender Rias (Rundfunk im amerikanischen Sektor) die Musiksendung »Das klingende Sonntagsrätsel« auf. Nicht einfach so, zum Spaß der Hörer. Sondern ganz klandestin, um die Reichweite des mit Störsendern bekämpften Radios im Gebiet der DDR zu testen. Die Hörer der Sendung waren aufgefordert, aus Musiktiteln ein Lösungswort zu finden und dieses mit der Aussicht auf einen kleinen Preis einzuschicken. Die Sendung war in jeder Hinsicht erfolgreich und wurde bald nach ihrem Start vom späteren Dalli-Dalli-TV-Moderator Hans Rosenthal (»Das war Spitze« mit eingefrorenem Sprung) übernommen und bis zu seinem Tod 1987 betreut – und läuft als älteste Sendung – seit 1993 im Deutschlandfunk – bis heute.
Das Museum für Kommunikation macht mit seiner Ausstellung »abgeschickt, abgefangen, aufgefunden. Das klingende Sonntagsrätsel und die Postkontrolle in der DDR« transparent, wie die ostdeutschen Sicherheitsbehörden den Briefverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten zu überwachen versuchten. Basis der insgesamt sehr übersichtlichen Schau, die in einem Ausstellungsraum zweiten Stock des Hauses stattfindet, sind 4.500 Hörerbriefe und Postkarten aus dem Dresdener Raum, die nach der Wende aufgefunden und im Jahr 2000 dem verblüfften Empfänger überstellt worden sind. Dass die DDR den Berliner Sender als ein Propagandainstrument des Klassenfeindes eingestuft hat, ist gewiss keine Fehldiagnose der Ostbehörden gewesen, die mit Parolen wie »Wer Rias hört, den Frieden stört« zu begegnen suchten.
In Vitrinen sind 45 ausgesuchte Briefe aus dem nachgesandten Konvolut mit versteckten oder auch mutigen, respektive naive Botschaften an die Moderatoren einzusehen – in einzelnen Fällen ist die Reaktion der Behörden, darunter ein Univerweis, dokumentiert. Offengelegt wird vor allem die unglaubliche Dimension der Postüberwachung in der DDR. Man meint, lächeln zu müssen, wenn man die vermutlich mit dicken Zoom-Kameras aus abgestellten Lieferwagen aufgenommenen Schwarzweißfotografien von Menschen beim Einwerfen am Briefkasten sieht. Allerdings sieht man ja auch nicht den vermeintlichen Postler, der kurz nach der Aufnahme den Einwurf aus dem Kasten nimmt.
Ab Mitte der 70er wurde der gesamte Postverkehr in die Bundesrepublik mit bis zu 90.000 Briefen täglich überwacht. Briefe, die sich mit den eigens entwickelten Maschinen nicht öffnen ließen, wurden einzeln mit Dampf bearbeitet oder aufgeschnitten, die Wertmarken von beschlagnahmten Briefen abgetrennt und auf Anweisung von Erich Mielke (davon gibt es ein Dokument) zum Wiederverkauf aufbereitet.
Aus einer Radiotruhe aus den Sechzigern erklingt die Erkennungsmelodie der Ratesendung. Vis-à-vis enthüllt uns ein schmucklos plumper, zwei Meter hoher Kasten, wie ein Störsender ausgesehen hat. Jetzt können wir uns unter diesem Wort auch etwas vorstellen.