Von der Tradition in die Moderne und zurück
Den Terminus »Entwicklung« zu wählen, wenn man von Südkoreas Aufstieg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spricht, verbietet sich eigentlich. Denn das in Relation zu seinen ostasiatischen Nachbarn relativ kleine Land auf der zipfligen Halbinsel südlich von China ist nach dem seine Zweiteilung manifestierenden Koreakrieg in die Zukunft katapultiert oder gar raketengleich geschossen worden. Es gibt keine andere Nation, die den gewaltigen Sprung vom Dritte-Welt-Land zur hypermodernen Hi-Tech-Domäne – und nicht zu vernachlässigen: zu einer Demokratie westlichen Stils – so schnell, aber auch so brachial wie eben Südkorea bewältigt hätte.
Wie dies vonstatten ging, zeigt recht eindrucksvoll das MAK, das Museum für Angewandte Kunst, mit einer neuen Korea-Ausstellung, die mit einiger Berechtigung den Titel »Korea-Power« trägt. Dabei wird einige Rücksicht darauf genommen, dass nicht jedem Besucher die Geschichte dieses Landes der Morgenstille geläufig ist. Schwarzweiß-Bilder von Kim Han-Yong aus den 50er Jahren dokumentieren Märkte und Straßenszenen aus der Zeit vor dem großen Aufbruch, die dem Hier und Heute mit Weltfirmen wie KIA, Samsung und Hyundai weit entrückt ist. Aber auch ein – ziemlich fragwürdiger – großformatiger Bildervergleich des deutschen Fotografen Dieter Leistner zwischen Süd- und Nord-Korea wird besucherpädagogisch begründet.
Der koreanische Fotograf Kim Han-Yong allerdings taucht in einem Nebenraum wieder auf, nunmehr mit Buntaufnahmen aus den 70er Jahren, die vom Sog des hereinbrechenden US-amerikanischen Lifestyle samt seiner Werbewelt berichten. Mit asiatischem Zauber haben diese Konsumgüterplakate nichts mehr zu tun. So sehr sich darüber schmunzeln lässt, so sehr verdeutlichen sie, wie rückhaltlos sich die Koreaner der westlichen Kultur unterwarfen. Eine Hingabe, die freilich von der politischen Frontlage und der bis heute fort-existierenden existenziellen Bedrohung bedingt ist und erklärt, wie schnell und leicht dabei auch sittliche Werte – die man freilich auch als Prüderie bezeichnen kann – über Bord geworfen werden konnten. Für eine Zeit.
In den dynamischsten Phasen seiner technisch-industriellen Quantensprünge wurde Südkorea allerdings auch der Gefahren des drohenden Verlustes seiner weit in die Zeit vor Christus zurückreichenden Traditionen gewahr. »Korea Power Design und Identität« schildert den ganz spezifischen Umgang der Wirtschaftssupermacht mit dieser Herausforderung und deren Bewältigung mit den Mitteln der Moderne.
Dazu gehört die Revitalisierung und Pflege eines auf den Gebrauch und Nutzen zielenden Kunsthandwerks. Nicht für den Kunst- und Souvenirmarkt oder Schmuckvitrinen, sondern für die Haushalte wurden Keramik-Service und Möbel, aber auch Alltagsgegenstände wie die »Gimbap-Box« produziert, ein länglicher hölzener Behälter für Zwischenmahlzeiten, den es überall im Land zu kaufen gibt: gefüllt, versteht sich. Wie tragbare flache Tischchen für die traditionell den Boden als Sitzgelegenheit nutzenden Koreaner. Oder die wunderschöne, weil schiefe Mondvase, die einer Art nationalem Hang zur Nichtperfektion entspricht.
Als typisch koreanisch kann inzwischen auch das Design von Autos, Handys, Modeassecoires oder auch Automarken bezeichnet werden, das POP-Modell des Stardesigners Peter Schreyer steht dafür aus. Selbstbewusst und befreit präsentiert sich längst auch die auf traditionelle Typografien rekurrierende unverwechelbare Plakatkunst. Wir sehen Beispiele der koreanischen Comics-Kultur, die sich die ehrwürdigsten Themen einverleibt, und blicken von oben auf die feingerichteten Vorhöfe von Wohnblöcken. Die Schau konfrontiert uns aber auch mit dem selbstkritischen Blick auf die Spielwarenwelt koreanischer Mädchen und Jungs in Rosa und Blau. Und dem bei der Jugend längst adaptierten Handyshopping, bei dem ein kurzer Klick auf den QR-Code genügt.