Das neue Werk von Christian Petzold ist Abschluss seiner Naturgeister-Trilogie, nach »Undine« und»Roter Himmel«, alle mit Paula Beer in einer Hauptrolle. Dass der Titel auf einen Klavierzyklus von Maurice Ravel anspielt, ist auch als kleiner Glückwunsch zu dessen 150-jährigem Geburtstag zu verstehen.
Zwei Frauen. Die ältere lebt allein im Umland von Berlin. Die jüngere lässt sich von ihrem unwilligen Freund Jakob (Philip Froissant), der sie zu einem für ihn beruflich wichtigen Treffen mitnehmen wollte, vorzeitig nach Hause fahren. Kurz nachdem sie am Haus der älteren, die gerade ihren Bretterzaun an der Straße weiß anstreicht, vorbeigefahren sind, kommt ihr rotes Cabriolet von der Straße ab. Der Fahrer ist tot, die Beifahrerin hat überlebt.
Es liegt nahe, sich auf diese Beifahrerin, die von Petzolds Lieblingsschauspielerin Paula Beer dargestellt wird, zu konzentrieren. Laura heißt sie wie eine der bizarrsten Frauenfiguren im Film noir. Gewissensbisse, weil sie von ihrem Freund die Fahrt abverlangt hat, scheinen Laura nicht zu plagen. Zu ihrem Zustand sagt sie: »Ich müsste traurig sein, aber ich bin es nicht.«
Seltsam abwesend wirkt sie, als sie die Hausbesitzerin Betty (Barbara Auer) bittet, bei ihr bleiben
zu dürfen, anstatt sich im Krankenhaus untersuchen zu lassen. Sie bekommt ein Bett zum Ausruhen, am nächsten Morgen Frühstück und frische Kleidung. Eine Art Mutter-Tochter-Beziehung scheint sich da anzubahnen.
Es vergeht einige Zeit bis Betty erzählt, dass unweit ihr Ehemann Richard (Matthias Brandt) und ihr gemeinsamer, erwachsener Sohn Max (Enno Trebs) wohnen und Autos reparieren bzw. GPS-Sender von Luxusmodellen ausschalten. Königsberger Klopse – das einzige Gericht, das Laura zubereiten kann – ist zufällig auch deren Lieblingsessen und Grund für eine Einladung. Nach dem schweigend verbrachten gemeinsamen Essen bedankt sich jedoch niemand bei Laura. Stattdessen drängt es die Männer, sich mit Handwerksarbeiten in Bettys Haus nützlich zu machen. Ein geselliger Abend sieht anders aus.
Offenbar liegt ein drückendes Ereignis über der Familie, das sie verstummen lässt, wenn es um persönliche Themen geht. Einmal spielt Laura auf dem Klavier, das lange nicht angerührt wurde. Betty hat sie darum gebeten, und es scheint etwas Erlösendes in der Chopin-Musik zu liegen. Da deutet sich an, dass der eher zurückhaltende Gast den Stau der Gefühle lösen und das Familiengeheimnis ans Licht bringen könnte.
Das geschieht dann auch bei einer Auseinandersetzung zwischen Max und Laura, und zu guter Letzt bringt Lauras öffentlicher Klavierauftritt alle zusammen. Erleichtert akzeptieren wir, dass die junge Pianistin nicht täglich geübt, sondern lieber ihrer Gastgeberin beim Zaunstreichen geholfen hatte.
Die Geschichte, wie Tom Sawyer seine Freunde dazu bringt, den Zaun zu streichen, und dafür von ihnen auch noch Geld kassiert, gehört zu den wenigen Hinweisen auf den Bildungs-Hintergrund des Regisseurs, der in seinem Film viele Leerstellen gelassen hat.
So ist »Miroirs No. 3« ein Musterfilm geworden. Petzold pur gewissermaßen. Mit der gewohnt präzisen Inszenierung des Regisseurs. Da gibt es keine nutzlose Bewegung, weder von der Kamera seines Veteranen Hans Fromm noch von den überzeugenden Darstellern.
Der Film ist in Cannes, in der »Quinzaine des realisateurs«, vor interessiertem Publikum gelaufen.
Nach der Vorstellung hat Petzold sich ausführlich zu seinen Intentionen ausgelassen – Erläuterungen, auf die wir hier schon aus Spoilerwarnungsgründen nicht eingehen wollen. Einem geheimnisvollen Film über ein Familiengeheimnis das Geheimnis zu entreißen – das steht nur dem Publikum zu.