Das künstlerische Sehen
Mit der ersten Sonderausstellung unter dem Leitmotiv »Natur trifft Kultur« setzt das Naturmuseum Frankfurt der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ein neues Konzept um, das den wissenschaftlichen Blick auf die Natur um das künstlerische Sehen erweitert. Die Veranstaltungsreihe beginnt mit einem Highlight. »Wir gehen einen neuen, innovativen Weg und öffnen uns dabei dem Denken über die Welt aus der Perspektive einer jungen Künstlerin, die ihre Ideen auf performativen Reisen in zahlreichen Ländern zusammengetragen hat«, sagt Bernd Herkner, Leiter der Abteilung Museum der Frankfurter Institution. Kurator ist Mark Gisbourne, Kunsthistoriker, Kunstkritiker und früherer Präsident der British Art Critics Association (AICA).
Die Ausstellung »Der Nabel der Welt« der deutschen Künstlerin Mia Florentine Weiss zeigt Werke von ihren Performances von 1999 bis 2015 – Foto- und Videodokumentationen sowie Objekt- und Installationskunst. Zentrum ist die Skulptur »Pegasus« als Decken-Installation im Foyer des Museums. Die Künstlerin hat rund um den Globus Menschen aller Altersschichten nach ihrem persönlichen Schutzraum befragt: »What is your place of protection?« Die Antworten hat sie in einer multimedialen Installation mit 54 Videoarbeiten zusammengefasst. Nr. 55 ist ein Film über den syrischen Flüchtling Nart Matok.
Die Themen »Projection« und »Protection« spiegeln die Leitmotive der Künstlerin auf mehrdimensionalen Projektionsflächen wieder. Von indigenen Völkern Afrikas über Obdachlose in Kalifornien bis hin zu den Opfern mörderischer Bürgerkriege im Nahen Osten reicht das Spektrum. Viele Menschen haben ihr neben ihren Antworten Gegenstände mitgegeben, um sie in das Flügelpaar von Pegasus einzuflechten. So steht das geflügelte Pferd aus der griechischen Mythologie für die Hoffnungen und Bedürfnisse zahlreicher Menschen.
Die Künstlerin hinterfragt Schutzräume in individuellen und globalen Kontexten. Was ist ein Schutzraum im Alltag, in Krisensituationen, bei Lebensgefahr, im Glückszustand? Die meisten Menschen haben immer eine Form von Heimat als einen möglichst unantastbaren und natürlichen Raum thematisiert. Ein Flüchtling ist im doppelten Sinne heimatlos: entwurzelt – geduldet im temporären Niemandsland.
Pegasus als Grenzgänger zwischen den Welten aus Himmel und Erde, Poesie und Wirklichkeit, weist einerseits den Weg zum paradiesischen »place of protection« des Individuums und verdeutlicht andererseits die Unerreichbarkeit des Elysiums durch Krieg, Hass, Zwietracht und Gewalt. Dass ein naturkundlicher Ausstellungsort einer zeitgenössischen Künstlerin Raum gibt – neben Dinosaurierskeletten und Artefakten ausgestorbener Spezies – eröffnet dem Temporären von Mia Florentine Weiss eine grundsätzliche Fragestellung: Kann sich die Spezies Mensch Schutz leisten bzw. noch Schutz geben?
Neben ihren Ausstellungen und Guerilla-Performances auf renommierten Kunst-Messen wie der Documenta 13, der Art Basel, der Art Basel Miami Beach oder an öffentlichen Plätzen wie dem Hollywood-Sign in Los Angeles, initiierte Mia Florentine Weiss die Serie »When Did You Write Your Last Love Letter?«, basierend auf der Korrespondenz mit dem Künstler Jonathan Meese.