Wild at Heart
Staatstheater Mainz spielt William Shakespeares: »Romeo und Julia«
Die erste Szene von William Shakespeares »Romeo und Julia« hat uns ein Stau vor Mainz vermasselt. Sie muss enervierend laut und lärmend gewesen sein, glaubt man der Rundschau. Das muss nicht wundern, wenn der opernerprobte Thorleifur Örn Arnarsson das Sagen hat, ein Regisseur dem Bilder und Stimmungen über alles gehen, besonders über wortwörtliche Texte. Stellen wir uns also den Beginn so enervierend laut und lärmend vor, wie es dort zugehen mag, »wo Bürgerkrieg ist höchstes Bürgerglück« – laut Prolog. Und natürlich darf da auch geschossen werden. Und gedröhnt. Und geschrien. Und die Drehbühne in massiven Rauchschwaden rotieren.
Nachdem der Nebel verzogen und der Schall verklungen ist, sind wir dann auch dabei und staunen nicht schlecht über die von einem mehrgeschossigen Baugerüst beherrschte Kulisse (Bühne: Josef Halldòrsson). Lange Laufstege schrägen durch ein Gestänge nach oben, das wie notdürftig von weißem Verbandsmull zusammengehalten wird. Je nach Licht und Sicht dient der eiserne Koloss mit all seinen Winkeln und Ecken mal als Palast der reichen Capulets, mal als Stadtkulisse von Verona, mal als Kirche oder Gruft. Im obersten Stockwerk hat die 14jährige Julia ihre Teddy-Teeny-Bude, im Parterre harrt der Musiker Gabriel Cazes, um das Spektakel live mit Piano und Posaune (!) zu begleiten. Von Tom Waits bis Leonard Cohen gibt es reichlich Gutes auf die Ohren. Allerdings, wir kommen bald drauf, auch mal Whitney Houston.
Vor dem Gerüst aber hängen die Freunde Mercutio (Gregor Trakis) und Benvolio (Tilman Rose) mit Romeo (Mathias Spaan) ab und überlegen, wie sie den Montague-Grünschnabel von jener Rosalinde entwöhnen können, der er gerade nachtrauert. Ihrer verhängnisvollen Idee, als Rat Pack die Party der Capulets zu rocken, verdanken wir das Liebesdrama und in Mainz auch jede Menge Trubel mit tollen Fecht-Stunts, dramatischen Toden und eimerweise Theaterblut. Die Stationen des Showdowns hält der Regisseur in prächtigen Großes-Kino-Szenen und ohne Rücksicht auf Verluste fest. Beispielsweise wenn Julia (Pascale Pfeuti) den Schmachtfetzen »I will always love you« in voller Länge intoniert, was trotz banger Momente – »Houston, wir haben ein Problem « – gelingt. Wenn Romeo sich ›wild at heart‹ im Hubwagen zum Balkon der Begierde hievt, hat das Witz, wenn er sich vor der Amme auszieht, hat das keinen, zumal wir das ähnlich peinlich gerade bei »Wer hat Angst vor Virginia Woolf? « (Strandgut 10/2013) hatten. Sein nächtliches Tête à tête beginnt das Pärchen gleich mit dem Nachtigall-Lerche-Disput und schenkt sich den langen Anlauf, indem es die entsprechenden Reclam-Seiten weichgekaut mit »Lovers Spit« von Mund zu Mund befördert. Trotz alledem aber versteht es Arnarsson, in den schrägsten Momenten den Kern der Tragödie präsent zu halten. Wenn zur Hochzeit aus Cohens »Hallelulja« ein »Hallo Julia« wird, dann lässt das auch schon das bittere Ende ahnen.
So skurril die Szenen sind, so stilisiert sind ihre Akteure. Pater Lorenzo wird als Kräuterhexe von Monika Dortschy gespielt, der Principe der Stadt ist ein Transvestit und Graf Paris (Lorenz Klee) ein notgeiler Schmock im goldenen Jackett. Julias Eltern aber (Stephan Walz, Nicole Kersten) sind zum Schreien: sichtlich zu Geld, doch nicht zu Kultur gekommen – und ein weiterer Beweis, wie förderlich repressive Eltern für emanzipative Prozesse sind. Ihre Julia jedenfalls denkt gar nicht daran, Romeo in den Tod zu folgen, sondern reißt die letzte Seite aus dem Text, um als It Girl ihrer Wege zu gehen. Gut so Jule.