Sie wartet geduldig ab, bis auch die letzte Besucherin sitzt. Mit leicht amüsiertem Lächeln und wachem Blick. Dabei erinnern die weißlichen Stoffe, die die Wände des Bühnenraums verkleiden, die gerafft und drapiert sind, an ein weiches Himmelbett. Und ja, Nora Monsecour träumt auch darin, probiert sich aus in dem, was sie sein könnte, was sie sein will. Sie läuft wie ein Model bei Heidi Klum. Sie bläst ihre Muskeln auf und post wie ein Bodybuilder. Sie balanciert auf halber Spitze und auf waghalsigen High Heels. Sie wälzt sich auf dem Boden, wirbelt herum. Einmal wäscht sie sich in einer kleinen Zinkwanne, als würde sie etwas loswerden wollen, zieht sich hautfarbene, enganliegende Kleidung an, wirkt fast nackt, aber nicht ungeschützt. Der Raum scheint sie abzuschirmen. Sie wendet sich zum Publikum, ohne sich zu präsentieren. Unaufgeregt gibt sie sich dem Spiel mit den Identitäten hin, ist mal zarte Ballerina, mal animierende Nachtclubtänzerin. Ihre eben noch sanfte Miene verändert sich, wird bösartig und wild.
Monsecour ist seit sieben Jahren Mitglied bei tanzmainz. Ihre Geschichte inspirierte den belgischen Regisseur Lukas Dhont zu seinem Film »Girl«. Er erzählt von einem Transmädchen, das professionelle Tänzerin werden will. Monsecour wollte die Hauptrolle nicht übernehmen. Jetzt hat sie auf der U17-Bühne des Staatstheaters ihr eigenes Solo über ihre Zerrissenheit vorgestellt. In »Façade«, so der Titel des Erstlingswerks, zeigt die 29-Jährige ihre verschiedenen Seiten, ohne sich aufzudrängen, kombiniert männliche und weibliche Attribute, ohne eine Entscheidung zu fällen. Am Ende singt sie. Vom Erwachsenwerden ohne eindeutige Zuordnung. Davon, was sie gerade sein möchte. Ob »boy«, ob »girl« – erst verschluckt sie das entscheidende Wort, dann lässt sie es heraus. Ein sehr persönliches Stück, das Aufmerksamkeit verdient.
Auch andere Bewegungskünstler befassen sich zu Beginn des Tanzjahres 2026 mit Wahrnehmung und Wirklichkeiten, mit Schein und Sein. Der ehemalige Forsythe-Tänzer Tony Rizzi, vom nationalen tanz-Magazin zum Tänzer des Jahres 2024/25 gewählt, lädt in »Endless Love / Endless Life« ins Kino ein. Was ist dran an der Illusion, die wir dort erleben? Wie beeinflusst das unseren Alltag? Und was ist er wert, der Ruhm, den Influencer in den Sozialen Medien ernten? Als Kind ging der 60-Jährige gerne ins Kino, genoss den Zustand zwischen Fantasie und Realität. Im Frankfurter Gallus Theater verbindet er die beiden Welten miteinander, die sein Erwachsenwerden prägten: den Tanz, dem sich der Amerikaner schon früh verschrieb, und das bunte Universum des Films.
Wie Rizzi wohnt auch Joana Tischkau in Frankfurt. In ihren Stücken beschäftigt sich die Tochter einer Deutschen und eines Ghanaers mit Feminismus und Diskriminierung. In »Runnin’«, im Mousonturm zu sehen, taucht die Tänzerin und Choreografin ein in die Welt des Sports, untersucht, wie die Bewegungsästhetik schwarzer Körper beim Laufen wahrgenommen und bewertet wird. Alltägliches wird politisch interpretiert, ein einfacher Gang ruft rassistische Zuschreibungen hervor. Tischkau will neue Perspektiven kreieren. Schon zu ihren Studienzeiten war sich die Künstlerin darüber klargeworden, dass alles, was sie jeweils aufführen würde, stets mit ihrer dunklen Hautfarbe verbunden sein wird. Das prägt bis heute ihre Arbeit.
Oft noch ganz am Anfang stehen die Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), die mit ihrem »Wintertanzprojekt« im Gallus Theater gastieren. 25 Jahre währt diese Zusammenarbeit, und der Blick auf den Nachwuchs ist immer spannend. Diesmal steht dabei Frankfurt selbst im Fokus, werden Arbeiten von vier Choreografen präsentiert, die eng mit diesem Ort verbunden sind: eine Neubetrachtung von »Enemy in the Figure« des langjährigen Ballettchefs William Forsythe, eine Stückentwicklung mit der ehemaligen Absolventin der HfMDK, Sade Mamedova, eine weitere Kooperation mit dem Leiter der Dresden Frankfurt Dance Company, Ioannis Mandafounis, und eine virtuose Schöpfung von Anne Jung, einstmals auffällige Tänzerin in dem Ensemble. Eine Zeitreise durch die bewegte Stadt.
