Die Ausstellung »Flügelschlag. Insekten in der zeitgenössischen Kunst« im Museum Sinclair-Haus zu einem hochaktuellen Thema
Unter dem Schlagwort »Bienensterben« erregt seit geraumer Zeit eine große öffentliche Debatte die Gemüter der Menschen. Die Abwesenheit von Insekten wird immer spürbarer. Das heißt: Das fragile ökologische Gleichgewicht und die Biodiversität sind weltweit ins Wanken geraten, und damit ist, wie umfassende Untersuchungen zeigen, die Artenvielfalt global bedroht. Unter dem Slogan »Lasst uns etwas für die Artenvielfalt tun« brachte es ein Volksbegehren in Bayern auf 1,8 Millionen Unterschriften. Haben da die Bienen vielleicht in ein Wespennest gestochen?
Das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg – seit jeher dem Thema Natur zugewandt – hat zwanzig zeitgenössische Kunstschaffende aus aller Welt eingeladen, ihre Sichtweisen und Positionen zu »Natur, Kreatur und Schöpfung« aufzuzeigen. Vom 7. Juli bis 13. Oktober 2019 gewähren sie mit insgesamt 68 Werken auf unterschiedlichste Weise den Besuchern einen Einblick in die Welt der fremdartigen Flügelwesen. Sie lenken mit ihren unterschiedlichen und teilweise ungewöhnlichen Darstellungs- und Aussageformen ihren Fokus auf den Mikro- und Makrokosmos der Natur: Was passiert, wenn die Beziehung des Menschen zum Insekt zu einem Balanceakt auf dem Hochseil wird?
Der deutsche Künstler Maximilian Prüfer, bekannt dafür, dass er gern mit Tieren arbeitet, die wir eher als Schädlinge oder zumindest als lästig empfinden, ist beispielsweise den Fragen »Wie bedroht sind die Bienen wirklich, welche Rolle spielen Pestizide und was könnte zum Erhalt der Arten getan werden?« nachgegangen. Sein neuestes Projekt mit dem Titel »A gift from him«, eine großartige Foto-, Film- und Objekt-Dokumentation, führte ihn nach China, in eine Gegend, in der eine von Menschen gemachte Naturkatastrophe die Geschöpfe ausgelöscht hat, die ihm ganz besonders am Herzen liegen: die Insekten, insbesondere die Bienen. Hier haben sie durch Pestizideneinsatz kaum eine Überlebenschance. Deshalb haben Menschen ihre Funktion übernommen, indem sie mit an Bambusstöcken befestigten Hühnerfedern Pollen auf die Pflanzen verteilen. Es ist der Versuch, etwas Verlorenes künstlich zu ersetzen. Fazit: Der Mensch wird zur Biene.
Das österreichisch-französische Künstlerduo Sommerer & Mignonneau, bekannt für seine innovativen interaktiven Computerinstallationen, befasst sich dagegen mit dem Schwarmverhalten von Insekten und dessen Wirkung auf die Menschen. Im Mittelpunkt seiner Film-Installation »People on the Fly« stehen virtuelle Fliegenschwärme und der Betrachter. Dieser wird gefilmt, gescannt und erscheint dann auf einem großen Bildschirm. Bewegt er sich, schwärmen die Fliegen herbei, verfolgen und umhüllen ihn. Sobald er stehen bleibt, wendet sich der Schwarm ab und sucht einen anderen Menschen auf. Durchaus beeindruckend, aber auch ein wenig angsteinflößend und bedrohlich.
Im Gegensatz dazu verzaubert der japanische Künstler Akkihiro Higuchi mit seinen filigranen Miniaturen. Er versucht, die Menschen für die Einzigartigkeit der oftmals als »Schädlinge« bekämpften Insekten zu sensibilisieren. So schmückt er Körper und Flügel präparierter Insekten mit gemalten zarten floralen Ornamenten und verwandelt sie optisch zu bildschönen Schmuckstücken, ähnlich den Insektenbroschen des Jugendstils.
Ebenso anziehend und anmutig sind die Falter-Fotografien des deutschen Regisseurs und Foto-Künstlers Georg Törsz wie auch die – auf mehreren LCD-Screens verteilt – aneinandergereihten farbenprächtigen kleinen Schmetterlinge des britischen Licht-, Video- und Interaktionskünstlers Dominic Harris. Er gibt seiner Arbeit »Baby Flutter« eine besondere Dimension: Nähert sich der Betrachter, kommt Bewegung in die ruhenden Flügelwesen.
Dagegen geht es der deutschen Künstlerin, Ethnologin und Kunstpädagogin Lili Fischer in ihren Arbeiten weniger um Bewegung als um Gewohnheiten, Verhalten und Rituale sowie umd die Größe von Tieren und die Frage »Was passiert, wenn die Insekten größer werden?«. Sie baut Schnaken aus Papier nach, vergrößert sie ins Überdimensionale und verfremdet sie.
Rosemarie Trockel, ebenfalls eine deutsche Künstlerin, hat mit ihren komplexen und kontroversen Werken internationalen Ruhm erlangt. Anfang der 80er-Jahre erregte sie Aufsehen mit ihren Strickbildern. In dem Video »à la Motte« wird eines ihrer Strickwerke von einer Motte im Zeitraffer zerfressen. Gezeigt wird der destruktive und gleichzeitig produktive Schaffensprozess einer Motte, indem Trockel die Chronologie der Bildreihe einfach umdreht und das Mottenloch von der Motte wieder beseitigen lässt.
Ergänzt werden die 60 künstlerischen Werke mit Exponaten aus der naturwissenschaftlichen Sammlung des Senckenbergmuseums, darunter in Bernstein gefangene fossile Insekten. Und – passend zur Ausstellung – können sich die Besucher im Vorhof des Museums an einer »Bienenweide« erfreuen.