»The Card Counter« von Paul Schrader

Ein dunkler Schatten lastet auf der Vergangenheit des ehemaligen Soldaten Tillich. Im Irak Krieg war er im berüchtigten Gefangenenlager Abu Ghraib stationiert. Als er auf den veröffentlichten Folterfotos identifiziert wurde, landete er im Gefängnis, wo er sich in seiner Einzelzelle mit dem Studium von Poker und Blackjack beschäftigte. In die Freiheit entlassen, durchquert der Autodidakt die USA, um in einem Casino nach dem anderen seine Theorie in die Praxis umzusetzen..

Jetzt nennt er sich William Tell. Er zählt mit einem einfachen System die ausgespielten Karten und erhöht so seine Gewinnchancen. Um ein Hausverbot zu vermeiden, achtet er darauf, dass seine Gewinne überschaubar bleiben. Denn die Casinos lassen Kartenzähler gewähren, solange sie nicht allzu hohe Gewinne machen, glaubt er.
Ein düster geschminkter Oscar Isaac, der als Paul Gaugin in Julian Schnabels Van-Gogh-Film aufgefallen ist, spielt diesen William Tell als verschlossenen Einzelgänger mit geheimnisvoller Ausstrahlung. William zieht es vor, nicht im Hotel des Casinos zu übernachten, damit er nicht während seines kompletten Aufenthalts von den Überwachungskameras erfasst wird.
Um sich über die Fortschritte in der Überwachungstechnik zu informieren, besucht er eine Sicherheitskonferenz, die der Veteran John Gordo (Willem Dafoe wieder einmal als Oberschurke) leitet. Gordo ist auch sein ehemaliger Vorgesetzter und Ausbilder im Gefangenencamp. Er war so schlau, sich nicht bei »den Verhören« fotografieren oder filmen zu lassen, und wurde nie bestraft.
Abseits des Konferenzgeschehens spricht ihn ein junger Mann (Tye Sheridan) an, der sich Cirk nennt. Sein Vater war ebenfalls Gordos Untergebener. Er konnte seine Erlebnisse nicht verkraften und hat sich das Leben genommen. Jetzt will sich der Sohn an dem Mann, der seinen Vater zum seelischen Krüppel gemacht hat, blutig rächen, und William soll ihm dabei helfen.
Doch der sieht die Chance auf einen Ausgleich zu seinen Schandtaten, auf eine Art Vergebung, die er im amerikanischen Gefängnis nicht bekommen hat. Er nimmt den hoch verschuldeten Studienabbrecher als Reisebegleiter mit. Während William an den Spieltischen zu Gange ist, soll sich Cirk mit kleinem Taschengeld die Zeit vertreiben und vor allem seine Rachegedanken loswerden. Damit Cirk seine eigene Vergangenheit in Ordnung bringen kann, verdingt sich William auch bei der smarten La Linda (Tiffany Haddish), die Spieler an finanzkräftige Sponsoren vermittelt.
Die Glitzerwelt der Casinos steht in scharfem Kontrast zu Williams Albträumen von den langen Gängen durch das Gefangenenlager mit den mehr angedeuteten als gezeigten Folterszenen. Bedrohlich wirkt auch Williams Routine in den diversen Motelzimmern: Er verhüllt dort mit eigenen Tüchern die fremden Möbel wie Christo einst berühmte Wahrzeichen. So verschmelzen sie zu einem einzigen Zimmer, seine Reminiszenz an die immer gleiche Gefängniszelle mit der immer gleichen Routine.
Schuld und die Suche nach Erlösung sind die großen Themen im Werk von Paul Schrader, der ursprünglich Priester werden wollte. Gewissermaßen als Zwischenschritt zu seiner Filmemacherkarriere hat er das bemerkenswerte Buch »Transcendental Style in Film. Ozu, Bresson, Dreyer« geschrieben. Darin beschreibt er die Versuche der drei Regisseure, sich »dem Unaussprechlichem und Unsichtbarem« hinter dem Geschehen zu nähern.
Sein großes Vorbild ist in vielen seiner Regiearbeiten Robert Bresson, dessen »Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen« in den Gefängnisszenen in Amerika zu erkennen ist. An »Pickpocket« erinnert Williams Routine in den Casinos, und wie der Priester in »Das Tagebuch eines Landpfarrers« verarbeitet William seine Erlebnisse in einem Schreibheft.
Weil aber Schrader ein Amerikaner ist, erzählt er mit besonderer Vorliebe von der Gewalt als Katharsis, die am Ende steht. Das macht die verstörende Attraktivität seiner Filme aus. Seine bedrohten und verwundeten Einzelgänger sehen auch für sich keinen anderen Ausweg, als gewalttätig zu werden. So besitzt er in Martin Scorsese einen Verbündeten, dem er für »Taxi Driver« das Drehbuch geliefert hat und der diesmal die Rolle eines Produzenten übernommen hat.

Claus Wecker (Fotos: © Lucky Number Inc.)

THE CARD COUNTER
von Paul Schrader, USA 2021, 112 Min.
mit Oscar Isaac, Tiffany Haddish, Tye Sheridan, Willem Dafoe, Alexander Babara, Bobby C. King
Rachethriller / Start: 03.03.2022

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert