Mythen unter sich: Zwei neue Ausstellungen im Museum für Angewandte Kunst

Die eine heißt so – Mythos Handwerk – die andere behandelt einen. Nun gut, vielleicht keinen Mythos, aber sicherlich eine Herzensangelegenheit von Museumsleiter Wagner K: den Künstlerbuchverlag Walther König.

Es glänzt – aber nicht auf goldenem Boden
Mythos Handwerk – es ist ein weites Feld, welches das MAK zu bestellen sich zur Aufgabe gemacht hat. Das Spannungsfeld ist ja immens: aus anthropologischer Perspektive ist Handwerk die Grundlage von allem Menschlichem – schon der erste Faustkeil war es – aber es leidet nicht erst seit Kurzem unter dem Mangel an gesellschaftlicher und politischer Anerkennung. Dann ist Handwerk vor dem Hintergrund des globalen Welthandels, des Klimawandels, des Ressourcenschwunds zu betrachten, aber auch als Spiegel gesellschaftlicher Haltungen, einer lokalen Identifikation, als kulturelle Identität. Und zuletzt ist der Wunsch nach gut gemachten wertebeständigen Konsumgütern gestiegen ohne dass sich damit eine Tendenz beschreiben ließe und so weiter und so fort…
»Eine Kathedrale von Assoziationen« habe sich bei dem Kuratorinnen-Team aus Frankfurt, Dresden und Bregenz (wohin die Ausstellung reisen wird) dann auch folgerichtig eingestellt; die Fülle wurde in sechs Cluster gefasst. Von einem strukturierten Korsett kann man dabei nicht sprechen, sondern eher von assoziativen Gedankenexperimenten. Die Cluster umschreiben: Hand – Kopf, Meisterschaft – Do it yourself, Lokal – Global, Luxus –Notwendigkeit, Einzelstück – Serie und Tradition – Fortschritt. Auch das ist ein sehr aufgefächertes und luftiges Spektrum, wie sich beim Rundgang herausstellt.
Um nur wenige Exponate zu benennen: Das filmische Porträt eines Kammmachers beim Versuch, seinen aussterbenden Beruf von einem Roboter retten zu lassen – das geht natürlich nicht auf – gedreht in altertümlichen Sepiafarben. Das erste Kleid, das nach 1945 in Dresden geschneidert wurde, eine minimalistische »Box« aus Bank, Tisch und Regal einer bayrischen Schreinerei, aus Buchenholz gefertigt.
Die Kapitel-Cluster werden in den beiden Ausstellungssälen farblich gegeneinander abgesetzt, wobei das verbindende Element Videos sind, in denen zehn Handwerk*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen Rede und Antwort stehen. Das ist aufschlussreich und überraschend, kommt doch beispielsweise auch ein Metzger zu Wort. Der Frage, was künstliche Intelligenz in diesem Zusammenhang zu leisten vermag, wird nachgespürt. Wer das alles jetzt nicht als luftig, sondern eher als löchrig empfindet, dem sei gesagt, dass sich die Kuratorinnen nicht als Wissenschaftlerinnen, sondern als Vermittlerinnen verstanden wissen wollen.
Je länger man verweilt, desto heller erstrahlt der Glanz des Handwerks als tatsächliche Kunst, deren Grundlage ja immer auch das Handwerk war. Es ist eine Ausstellung entstanden nicht nur über Objekte, nicht nur über Arbeit, nicht nur über Fragestellungen, sondern über die Menschen, die das Handwerk ausüben. Und eigentlich gar nicht über den Mythos. Und das ist noch viel schöner.

Bis 11. September: Di., Do–Fr., 12–18 Uhr; Mi., 12–20 Uhr; Sa.–So., 10–18 Uhr; umfangreiches Begleitprogramm

Christopher Williams © Rademacher/Guenzel/Museum Angewandte Kunst

Was passiert, wenn das Bild die Wand verlässt?
Mythos, das ist ein so großes Wort und man heftet es nicht unbedingt einer lebenden Person an. In diesem Fall vielleicht aber schon: Walther König belebt es für alle, die sich für Künstlerbücher interessieren, aber es ist noch so viel mehr. Es ist ein ganz eigener Kosmos, den man hier betritt, eine Kathedrale für Bibliophile, eine ganz besondere, der Kunst und dem Buch gewidmete Atmosphäre, die allein schon von seinen legendären Buchhandlungen ausgeht, umso mehr von seiner Verlegerpersönlichkeit. 1968 von ihm und seinem Bruder Kasper gegründet, erfindet der Verlag Künstlerbücher, weitet den Begriff des Kunstbuchs ins Performative aus, löst Kunst aus ihrem bisherigen Rahmen. Kunst verlässt die Galerien, die Museen, die Wände, um sich in einem Buch zu materialisieren. Das Buch, das Papier, der Druck inszenieren die Kunst. Also ein Anti-Eliten-Gedanke, der mit dem Verlag und dem Verleger aufs Innigste verknüpft ist. Kulturstiftende Gestaltungskraft – ein großes Wort. Mit seiner Verlegertätigkeit öffnet Walther König aber auch Räume für Künstler*innen zu einem offenen Austausch, liefert einen Beitrag zu ihrer Rezeptionsgeschichte.
Die Ausstellung selbst nimmt sich zurück, um der Pracht der Bände nichts entgegenzustellen, sie ist sehr schlicht, eben wie eine Bibliothek aufgebaut. Das Augenmerk konzentriert sich auf die Exponate. Und das ist gut so, denn sie sind einzigartig. Wen Walther König verlegt hat, ist ein Who is Who der zeitgenössischen Kunstwelt: Hanne Darboven, Thomas Bayrle, Martin Kippenberger, Wolfgang Tilmans, Isa Genken, Wolf Vostell, Jörg Immendorff, Gilbert & George, Sigmar Polke und Gerhard Richter gehören zu Autoren des Verlags. Letzterer hat gerade ein komplett gemaltes Manuskript zum Druck abgeliefert. Thomas Bayrle erschien zur Eröffnung. Das Künstlerbuch »Findet mich das Glück?« von Peter Fischli und David Weiß aus dem Jahr 2003 wurde 300.000 mal verkauft – kein zweites Künstlerbuch genoss je einen solchen Ruhm und Erfolg. Wenn das kein Mythos ist?

Bis 28. August: Di., Do–Fr., 12–18 Uhr; Mi., 12–20 Uhr; Sa.–So., 10–18 Uhr
www.museumangewandtekunst.de

Susanne Asal

(Foto: Werkstattansicht, 1950er, Werkstatt in Rabenau, © Stuhlbaumuseum Rabenau)

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