An die falsche Adresse gekommen

Frayn_23976_MR.inddMichael Frayns Verwechslungskomödie: »Willkommen auf Skios«

Der Engländer Michael Frayn, der im September achtzig Jahre alt wird, hat während seiner Militärzeit u.a. auch Russisch gelernt und danach, als Schriftsteller, regen Gebrauch von der gewonnen Fähigkeit gemacht. »Zwei Briten in Moskau« war eines der ersten seiner ins Deutsche übersetzten Bücher. Vor fünfzehn Jahren feierte er mit »Copenhagen«, einem Drama zwischen Niels Bohr und Werner Heisenberg, einen Welterfolg. Er schrieb auch ein Stück über Willy Brandt und die Guillaume-Affäre und jetzt einen neuen, richtig komischen Roman.

Zwei Männer landen gleichzeitig auf der kleinen griechischen Insel Skios. Prof. Norman Wilfred, Ende fünfzig, dicklich, schütteres Haar, ein weltweit anerkannter Wissenschaftsforscher. Der andere, Oliver Fox, jung, charmant, »wuscheliges blondes Haar und sanfte freundliche Augen«, ohne Job, eher eine Art Hochstapler. Beide sind, aus unterschiedlichen Gründen, wenig geneigt, anderen genau zuzuhören. Sie ziehen ähnliche Rollkoffer hinter sich her und steigen in Taxen, und schon beginnt die aberwitzige Verwechslungskomödie. Der Professor soll vor den extrem reichen Gästen der Mrs.-Fred-Toppler-Stiftung einen Vortrag halten. Einmal im Jahr veranstaltet die Stiftung eine spektakuläre Hausparty. Sechs Wochen vor seinem Tod hatte der 81-jährige Fred Toppler eine Tänzerin geheiratet und ihr ein riesiges Vermögen hinterlassen. Aus Dankbarkeit hatte sie eine Stiftung ins Leben gerufen, »um die europäische Zivilisation« zu fördern. Statt des Professors erscheint nun der junge Hochstapler zur Freude der meist älteren Teilnehmer. Wissenschaftliche Fragen der Gäste beantwortet er auf seine Weise: Er stapelt das Kaffeegeschirr zu einem schwankenden Turm. Als ein skeptischer Professor warnt: »Warten Sie, das ist alles Humbug«, ruft Fox triumphierend: »Nein, nicht warten! Niemals warten! Einfach tun!« und reißt das Tischtuch unter dem zusammenstürzenden Turm weg. Alle stehen sprachlos da, dann applaudieren sie begeistert. Ein anderer fragt: »Was für ein Doktor sind Sie eigentlich?« »Ach, wissen Sie … von diesem und von jenem!« »Also kein Mediziner?« »Nein«, antwortet Fox wahrheitsgemäß. Der Gesprächspartner trotzdem: »Ja? Sie sind ein Doktor der Medizin?« Fox antwortet dann: »Warum nicht.« Der richtige Professor ist inzwischen in einer einsam gelegenen Villa abgesetzt worden. Dort hatte sich Fox mit der Frau eines Freundes verabredet, um eine fröhliche Woche zu verbringen. Als die Dame, etwas verspätet, eintrifft und statt ihres hübschen Freundes einen dünnhaarigen Koloss im Bett liegen sieht, schließt sie sich schreiend im Badezimmer ein. Natürlich ist ihr Handy ohne Saft. Schließlich taucht noch ein dritter Koffer auf, wieder sehr ähnlich, und mit ihm die ehemalige Freundin von Fox. Eigentlich hatte sie ihn kürzlich vor die Tür gesetzt, es aber unterdessen bereut. Es geht also hoch her und nicht immer prüde zu. Doch sind alle diese verrückten Situationen in funkelnd-intelligente Dialoge verpackt. Die Redner reden fast schon genial aneinander vorbei. Irgendwann glaubt der Leser: jetzt habe ich es kapiert, und dann ist doch alles wieder ganz anders.   Frayn sei »von allen komischen Schriftstellern unserer Zeit der philosophischste und zugleich der komischste von allen philosophischen«, schreibt die »Daily Mail«.  Er löst natürlich auch hier das totale Durcheinander, das er so kunstvoll angerichtet hat, mit leichter Hand auf überraschende Weise wieder auf. Das mag, zusammengefasst, platt klingen. Der Leser wird am Ende, allerdings zu seinem Vergnügen, erkennen, dass der Autor ihn einfach auf den Leim geführt hat. Er reagiert am besten, indem er das Buch, wie ich, weiter empfiehlt.

Sigrid Lüdke-Haertel
Michael Frayn: Willkommen auf Skios. Roman
Aus dem Englischen von Anette Grube.
Hanser Verlag, München 2012, 285 S., 17,90 €

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