»Antanas Sutkus.Fotografien« in den Opelvillen Rüsselsheim

Die litauische Fotografie ist in Deutschland nur wenig bekannt – und das ganz zu Unrecht, wie nun eine Ausstellung von Antanas Sutkus in den Rüsselsheimer Opelvillen zeigt. Die Präsentation wurde von Chefin Beate Kemfert und Norbert Bunge von der Berliner Galerie argus fotokunst kuratiert. Die Leihgaben stammen aus Privatsammlungen. Dabei handelt es sich ausschließlich um Silbergelatine-Vintage-Prints.
Schon in den fünfziger Jahren beginnt Antanas Sutkus, zu fotografieren. Bilder entstanden in kleinen Dörfern, bäuerliche Szenen, Alltagssituationen in Vilnius, allesamt Fotografien seines Zyklus »Menschen aus Litauen«, der ein Versuch ist, ein psychologisches Porträt der Gegenwart zu zeichnen. Alle diese Bilder eint etwas: Ganz nahe rücken die Menschen dem Betrachter entgegen – und die Frage aus Roland Barthes fotophilosophischem Werk »Die helle Kammer« kommt wieder ins Gedächtnis: Was machen die Porträtierten heute? Mehr kann einem Porträt nicht gelingen.
Auch wenn die Welt sich ändert, vieles bleibt doch gleich – auch auf diesen Nenner könnte man die Porträts von Sutkus bringen: »Jeder Mensch hat eine Kathedrale in sich«, so hat es der Fotograf einmal formuliert. Jeder hat ein reiches Erbe, eine reiche Geschichte, jeder strahlt, aus sich selbst heraus.
Sutkus, 1939 in Kluoniškiai, Kaunas, geboren und heute in Vilnius lebend, interessiert sich ausschließlich für Menschen. Diese Ausschließlichkeit ist essentieller Teil seiner Arbeit. Mit einer Ausnahme: 1965, als Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir Litauen für eine Woche besuchten, machte Sutkus sein bekanntestes Foto: Sartre, ganz in Schwarz, in einer Düne der kurischen Nehrung. Gebeugt, sich gegen den Wind stemmend, dennoch voranschreitend. Ringend, um seine Existenz. Ein Existenzialist in einer existenzialistischen Landschaft. Eine »trotzige Diagonale im Raum«, wie Ingeborg Ruthe schreibt. Eine »Bildwerdung der existenzialistischen Philosophie«, so Johanna Müller treffend.
In der Zeit des Sozialismus war diese Art der Fotografie verpönt, solche gebückt gehenden Menschen: Sutkus zeigte nicht den sozialistischen Helden, im Gegenteil: Er fotografierte alte, arme Landsleute, verträumte Kinder, verbrauchte Arbeiter: stille Bilder aus einer Diktatur. Und auch nach dem EU-Beitritt seines Landes ist Sutkus ein unbequemer Beobachter geblieben.
Sutkus‘ ungeschönte Fotografien haben eine erstaunliche psychologische Tiefe. Oft hat er Kinder fotografiert, einen Jungen auf einem Fahrrad etwa. Mit wachem, hintergründigem Blick fixiert er den Fotografen – gibt den Blick der Kamera zurück. Und auch das macht große Fotografie aus: die behutsame, genaue, frische Analyse eines besonderen Augenblicks.
Es ist das Werk eines großen humanistischen Fotografen, der seine Protagonisten, die »einfachen Leute«, inmitten der Widrigkeiten des Lebens zeigt. Momente des Glücks findet man dennoch viele in seinem Werk. »Ich vertraue meiner Intuition und arbeite spontan«, sagt Sutkus. »Mein Erfolgsrezept ist im Grunde sehr einfach: Man muss den Menschen lieben.« Die Liebe zu den Menschen – das macht die zeitunabhängige Aktualität im Werk von Antanas Sutkus aus.

Marc Peschke (Foto: © Anantas Sutkus/VG Wort und Bild)
Bis 28. April: Mi.–So. 10–18 Uhr, Do. bis 21 Uhr
www.opelvillen.de

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