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Mißtrauen im Kollektiv
»Barbara« von Christian Petzold
Jede Menge Filme über die DDR gab es in den letzten zwanzig Jahren, lustige und weniger lustige. Einer von der ernsten Sorte bekam sogar einen Oscar. Doch Christian Petzolds Berlinale-Beitrag »Barbara« wirkt, als wäre er der erste. So war die DDR, denkt man, so und nicht anders.
Die DDR – so zeigt sie der Film – war zuerst ein großes Gefängnis. Ihre Bewohner konnten sie nicht in »den Westen« verlassen, es sei denn, sie gehörten einer privilegierten Klasse an in dieser angeblich klassenlosen Gesellschaft, und es bestand die Gewißheit, daß sie wieder zurückkamen. Die gab es im Falle Barbaras ganz sicher nicht.
Die Berliner Ärztin hat 1980 einen Ausreiseantrag gestellt. Das kostet sie ihren Job im Hauptstadt-Krankenhaus Charité. Sie wird in ein mecklenburgisches Provinzkrankenhaus strafversetzt, und alle dort wissen, was mit der neuen Kollegin los ist. Das ist der zweite Punkt, mit dem Petzold die DDR so genau trifft: das Nebeneinander von Familiärem und Mißtrauen. Die Kollegen kennen einander gut, man hilft sich, man bildet ein Kollektiv. Doch Barbara, von Petzolds Lieblingsschauspielerin Nina Hoss mit bedrückender Starre gespielt, bleibt ein Fremdkörper und will es ganz bewußt sein. Sie »separiert sich «, setzt sich in der Kantine eben nicht zu den Kollegen, ist schroff und abweisend. Aus gutem Grund, denn sie wird beobachtet. Immer wieder steht ein dunkler Stasi-Wartburg auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und in unregelmäßigen Abständen taucht die Stasi in ihrer Wohnung auf und kontrolliert, ob sie unerlaubte Dinge besitzt. Sogar eine Leibesvisitation muß sie über sich ergehen lassen. Das ist die Zelleninspektion im Großgefängnis DDR.
Mit Jörg (Mark Waschke), ihrem West-Freund, muß sich Barbara im Wald oder in einem Interhotel per Einstieg durchs Fenster zum Rendezvous treffen. Seinen Vorschlag, er könne ja auch in die DDR ziehen, lehnt sie heftig ab. Ein gemeinsames Glück in der DDR sei unmöglich. Auf den Satz, sie könne im Westen ausschlafen und brauche nicht mehr zu arbeiten, reagiert sie allerdings recht nachdenklich.
Denn die Arbeit als Ärztin bedeutet ihr viel. Und ein besonderes Herz hat sie für Außenseiter wie Stella (Jasna Fritzi Bauer), die an Meningitis erkrankte Jugendliche, die in einem Umerziehungslager gefangen gehalten wird. Barbara ist die einzige im Krankenhaus, der Stella vertraut.
Wesentlich komplizierter gestaltet sich Barbaras Beziehung zum Stationsarzt André (Ronald Zehrfeld). Ist auch er ein Außenseiter? Oder ist er ein Stasi-IM, der Barbara dazu bringen soll, ihren Ausreiseantrag zurückzuziehen? Barbara weist ihn beharrlich ab, und er bleibt konsequent fürsorglich, besorgt ihr ungefragt einen Klavierstimmer, erklärt ihr ausführlich einen Rembrandt (die schwächste, weil allzu didaktische, Szene) und gibt ihr Turgenjew zu lesen. Heiliger oder Spitzel, das ist hier die Frage.
In der Beschreibung der Beziehung zwischen Barbara und André zeigt sich Petzolds hohe Inszenierungskunst, die auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären für die beste Regie belohnt wurde. Denn Petzold begnügt sich keineswegs mit einer bis ins Detail realistischen Ausstattung. Er verdichtet die DDR-Realität zu einer bedrohlichen Welt, in der es auf Blicke und Gesten ebenso ankommt wie auf Worte. Das wird ungeheuer spannend, wenn sich ein Operationstermin, zu dem Barbara eingeteilt ist, und ihre geplante Flucht zu überschneiden drohen.
Was am Ende passiert, kann man vielleicht ahnen, kommt aber dann doch überraschend und ist absolut stimmig. Es hagelte dann auch positive Kritiken, und sogar im »Neuen Deutschland«, dem einstigen Zentralorgan der SED, wurde der Film nicht verrissen, sondern gelobt und Barbara kurzerhand zu einer Vorbotin der Wende gemacht.
Claus Wecker