»Damit mich die Frauen lieben«
Schreiben ist ein einsames Handwerk. Es erfordert Konzentration und Zurückgezogenheit, Abstand von der Welt, von anderen Menschen. Der Blick auf die Welt verändert sich dabei, auch der Blick auf die eigenen Bedürfnisse und Verhältnisse – große Werke der Weltliteratur verdanken sich diesem Spannungsfeld: Über das zu sinnieren, was einem gerade versagt ist, das zu imaginieren, was man vermißt und ersehnt. Auch deswegen enthält Literatur so viel an Wahrheit, an universellem Gefühl. Schreiben kann wehtun. Muß es sogar. Nicht selten bedeutet das, sich etwas buchstäblich von der Seele zu schreiben.
Zum Beispiel die Sache mit dem Sex. »Glaubst du«, sagte der große Thomas Brasch einmal unvermittelt zu mir in einem Interview, »ich wäre so kreativ, wenn ich dauernd etwas zum Ficken hätte?« Simenon, der Vielschreiber, der sich zum Schreiben für Wochen in sein Arbeitszimmer zurückzog und nur für schnellen Sex mit Ehefrau oder Dienstbotinnen heraushuschte, entblößte sich geradezu unanständig in seinem Bekenntniswerk »Intime Memoiren«.
Nun ist es ein nicht gerade zimperlicher Autor, der Amerikaner James Ellroy, dessen vermutlich bekanntester Kriminalroman »L.A. Confidential« auch einen der großen Filme der 80er Jahre ermöglichte. Ellroy muß man nicht mögen, oder nicht alles von ihm, aber er ist ganz klar einer dem ambitioniertesten zeitgenössischen Autoren der Kriminalliteratur. Sein Stil ist eigenwillig, seine Sprache verdichtet, verknappt, unter Spannung. Seine Protagonisten haben allesamt schwarze Seelen, schuldbeladen, von Ambitionen oder Dämonen gehetzt, Glücksmomente sind ihnen meist nur in perversen Formen möglich. Ellroy-Romane sind Vorhöllen, ›noir pur‹, auch wir Leser müssen da durchs Fegefeuer.
So ist es also auch eine Warnung, die ich vor James Ellroys Memoirenbuch »Der Hilliker Fluch« (The Hilliker Curse) ausspreche. Der Untertitel »Meine Suche nach der Frau« klingt harmlos für den Höllenritt, der hier auf 254 Seiten zu überstehen ist. »Damit mich die Frauen lieben«, heißt der erste Satz. „Ich habe den Fluch vor einem halben Jahrhundert heraufbeschworen. Er hat mein Leben seit meinem zehnten Geburtstag bestimmt. Ich habe Geschichten geschrieben, um das Gespenst zu besänftigen.« Ellroys Mutter war die etwas leichtlebige Krankenschwester Geneva »Jean« Hilliker, sie wurde ermordet wie jene andere Frau, die ihn explizit in zweien seiner Bücher beschäftigt hat: Elisabeth Short, »Die schwarze Dahlie« – ein nie aufgeklärter grausiger Hollywood-Mord. Gleich zu Beginn überfällt Ellroy uns mit dem Geständnis, seine »durch nichts zu erschütternde Begabung, Geschichten zu erzählen« sei »unwiderruflich dem Moment geschuldet, in dem ich meiner Mutter den Tod wünschte und den Mord an ihr guthieß«.
Schonungslos schildert er die Onanie-Abenteuer seiner Jugend, den Beginn einer verqueren, um nicht zu sagen perversen Liebhaber-Karriere. Als Metapher für seine erwachenden Sehnsüchte entdeckt er die Fernsehserie »Auf der Flucht«: »Die Serie war ein Hohelied auf das vielfältige und einsame Amerika. In dem Liebe stets unausgelebt blieb. In dem Sehnsucht nie gestillt wurde. Dr. Richard Kimble hatte Woche für Woche überwältigend wahrhafte Momente mit Frauen. Seinem Streben, sie für sich zu erobern, kam immer wieder die Wirklichkeit in die Quere. Alle versuchen, ihn zu lieben. Er versucht, sie alle zu lieben. Es kommt nie dazu. Es bleibt beim Bemühen… Ich drehte jeden Dienstag durch und weinte.«
Viele solcher Dienstage hat Ellroy noch erleben und durchleiden müssen. Wie gesagt, man muß ihn nicht mögen. Man muß ihn nicht lesen. Es gibt aber nicht viele Autoren, die auch mit sich selbst so rücksichtslos sind wie sie es als Kotzbrocken, Bindungsunfähige oder Drecksäcke mit dem Rest der Welt und nicht wenig oft mit Frauen sind. Und die dabei doch unentwegt auf Erlösung hoffen – auf eben »Sie«. Ellroy dazu: „Wir beobachten. Wir reißen unsere Augen auf. Wir sehen Frauen zu. Wir wollen etwas Ungeheures. Man schaut hin, um mit dem Hinschauen aufhören zu können. Man verzehrt sich nach der einen, der einzigen Frau, die moralische Maßstäbe setzt. Die man erkennen wird, wenn man sie sieht. So lange wird man weiter Ausschau nach ihr halten.« So ist das letztlich weniger ein Buch über Männer und Frauen, als über eine Obsession. Ein Casanova, dessen ruheloses Treiben an das eines Serienmörders gemahnt. Ein »Mann, der die Frauen liebte« (so der Titel eines bemerkenswert schonungslosen Truffaut-Films), der sich nach Erlösung sehnt und in dem ein kleiner Junge schlummert, der wohl niemals nach Hause finden wird.
Im Original liest sich das manchmal schöner als auf Deutsch: »They met, they sizzled, they shacked« oder »I was frayed, fraught, french-fried and frazzled«. Oder »I lived to read, brood, peep, stalk, skulk and fantasize.” Leser begrüßt Ellroy bei einer Lesung gerne etwa so: »Good evening peepers, prowlers, pederasts, panty-sniffers, punks and pimps. I‘m James Ellroy, the demon dog, the foul owl with the death growl, the white knight of the far right … I‘m the author of 16 books. Masterpieces all; they precede all my future masterpieces. These books will leave you reamed, steamed and dry-cleaned, tie-dyed, swept to the side, true-blued, tattooed … These books are for the whole …family, if the name of your family is the Manson family.«
Einige der Bücher von James Ellroy
Das L.A. Quartett:
The Black Dahlia (Die schwarze Dahlie)
The Big Nowhere (Blutschatten)
L.A. Confidential (Stadt der Teufel)
White Jazz (White Jazz)
Die Underworld USA Trilogie:
American Tabloid (Ein amerikanischer Thriller)
The Cold Six Thousand (Ein amerikanischer Albtraum)
Blood’s a Rover (Blut will fließen)
Autobiografisches:
The Dark Places (Die Rothaarige)
The Hilliker Curse (Der Hilliker Fluch)
Drehbücher zu:
Der Cop (1985), L.A. Confidential (1987), Brown’s Requiem (1998), Dark Blue (2002), Die schwarze Dahlie (2006), Streetkings (2008), Rampart – Cop außer Controlle (2011)