Brigitte Reimanns Roman »Die Frau am Pranger« zum Glück wiederentdeckt

Es war ihr erstes Buch und es wurde gleich zum Erfolg. Sie war zusammen mit ihrer gleichaltrigen Freundin Christa Wolf einer der frühen Hoffnungen einer jungen DDR-Literatur. Sie war eine Frau, und sie sprach mit der Stimme einer Frau und sah mit ihrem Blick. Und sie lebte, viermal verheiratet, unzählige Affären, wie in einem Rausch. Bei ihrem Debut, 1956, war sie erst zweiundzwanzig Jahre alt. Sie arbeitete als Journalistin, als Dramaturgin, als Schriftstellerin. Sie starb, mit nur neununddreißig, 1961, an Krebs. Ihre Wiederentdeckung war überfällig.

Der Zweite Weltkriegs geht auf sein Ende zu. Kathrin Marten und ihre Schwägerin bewirtschaften einen Bauernhof alleine. Kathrins Mann Heinrich ist, wie fast alle Männer im Dorf, im Krieg. Kathrin, blass und schmächtig, »ein lächerlich dünnes Ding«, wurde von Heinrich geheiratet, weil sie »eine gute Partie« war. Heinrichs Schwester Frieda groß, kräftig und derb, hat das Kommando übernommen. Ein Gefangener aus der Ukraine, Alexej Lunjew, wird ihnen als Hilfe zugeteilt. Für Frieda ist er ein Feind, den man eher wie ein Tier behandelt. Am Tag muss er schuften, abends wird er in der Scheune eingeschlossen. Die Russen sind »dumm und dreckig, eben anders als wir, bloß halbe Menschen«. Für Kathrin ist der gefangene Russe ein Mensch, der mit Respekt behandelt werden muss und sie setzt sogar durch, dass er mit ihnen in der Küche essen darf. Allmählich entsteht zwischen den beiden eine Art Vertrautheit. Sie fühlt zum ersten Mal, dass sie als Frau wahrgenommen wird. Als der ungeliebte Mann Heinrich für ein paar Tage Fronturlaub bekommt, wird ihr ihre Situation auf dem Hof richtig bewusst. »Drei Tage nur«, sagte sie. »Drei Tage, dachte sie angstvoll, drei unendlich lange Tage und Nächte.« Sie spürt »zwischen Bruder und Schwester« fast erdrückt »vom warmen, massigen, schwitzenden Fleisch der beiden«, wie »neben Widerwillen und Demut« auch bereits »ein winziges Fünkchen Hass« in ihr aufkommt. Und Heinrich spürt, wie ihm Kathrin entgleitet. Er versucht vergeblich, sie durch Schläge gefügig zu machen. Sie erträgt alles mit stoischer Ruhe, denn ihr und Alexej ist bald klar, »dass sie einander nicht mehr ausweichen würden, weil sie sich nicht mehr ausweichen konnten«. Beide wissen, wie gefährlich diese Liebe ist. Im Dorf lauert man darauf, sie zu erwischen. Man kennt sich gut, »alles wurde beredet, zerredet, gründlich betrachtet und betratscht von den Frauen in den Küchen, von den Männern im Dorfkrug«. Verstohlene Blicke verfolgen Kathrin, »wie leicht sie schritt, wie sie den Kopf trug, wie bunt ihre Bluse leuchtete!« Die Zuneigung des Russen hat Kathrin Selbstbewusstsein und Selbstachtung gegeben. Auch Heinrich kann sie nicht mehr demütigen, sie fürchtet ihn nicht mehr. Sie, die ständig herumkommandiert wurde, verhält sich, im Gegensatz zu allen anderen Dorfbewohnern, menschlich. Sie verliebt sich in Alexej, ihren Kriegsgefangenen und sie kann viel ertragen, weil sie jetzt in ihrem Leben einen Sinn erkennen kann. »Vorher – das war gar kein richtiges Leben, ich wusste ja nicht einmal, warum ich auf der Welt war.« Aber auf dem Dorf lässt sich ihr das Verhältnis nicht verheimlichen. Als Vaterlandsverräterin und Russenhure wird sie kahl geschoren, »an den Pranger gestellt« und wirklich mit Steinen beworfen. Sie erträgt alles, weil sie in ihrem Leben jetzt einen Sinn erkennen kann. »Vorher – das war gar kein richtiges Leben, ich wusste ja nicht einmal, warum ich auf der Welt war.« Sie wird in ein KZ transportiert und bekommt dort ihr Kind, einen kleinen Alexej. Heinrich, ihr Mann, Frieda, die Schwägerin und auch der Vater von Alexej kommen ums Leben. Die verbotene Liebe hat ihren Preis gefordert. Aber sie hat Kathrin auch gezeigt, dass es Glück im Leben gibt. Dafür muss man kämpfen. Die junge Mutter kehrt zurück in ihr, inzwischen ausgebranntes Dorf. Und dann klingt durchaus noch etwas von dem frühen Optimismus der jungen DDR durch. »Man muss ja mal wieder anfangen.«
Das klingt nicht nur nüchtern und unpathetisch. Es ist es auch. Eine Grundeinstellung. Hier hat sich eine neue Generation zu Wort gemeldet. Frauen kamen zu Wort. Selbstbewusst, voller Hoffnung und: jung. Brigitte Reimanns erster Roman »Die Frau am Pranger«, hat die Zeiten bestens überstanden. Er ist sogar wieder aktuell geworden.

Sigrid Lüdke-Haertel / Foto: © Aufbau Verlage
Brigitte Reimann: Die Frau am Pranger. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2024, 176 S., 20 €

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