Die Leiche. Die-Leiche-die-Leiche-die-Leiche, denkt sie. Wenn man Wörter wiederholt, verlieren sie ihre Bedeutung. Eine Autorin, der man wegen ihres souveränen Sprachgefühls überall hin folgt, das ist die zwischen allen Genres schreibende – und vermutlich deshalb von der Kritik deutlich unter Wert gehandelte – Südafrikanerin Lauren Beukes. In „Broken Monsters“ sind es sehr dunkle Orte, an die sie ihre Leser führt. So dunkel, dass manche Bilder aus diesem Buch sich einem in die Träume schleichen. Das schafft nun wirklich nicht jeder Roman.
Lauren Beukes schreibt auf hohem Niveau, um nicht zu sagen, auf traumhaftem: »Ich träumte, ich wäre der Traum eines Traums.« Das ist nicht nur dahin gesagt, sondern eine alles bestimmende Erzählachse in »Broken Monsters«. Kunst als Form der Gegenwartsbewältigung, ganz existentiell; das marode Detroit als Boden für einen Künstlerroman, der gleichzeitig ein fulminanter Polizeiroman ist, ein bissiger Sozial- und Medienkommentar, ein glaubwürdiges Psychogramm, eine selbst Stephen King zum Niederknien bringende Horrorgeschichte, ein Stück phantastische Literatur, erschreckend, spannend und humorvoll, kritisch in Sachen Social Media und modernen Hipstertum, ein prall volles, reiches Buch.
Die Südafrikanerin Lauren Beukes, deren Romane »Moxyland«, »Zoo City« und »The Shining Girls« ebenfalls zu Lektüre und Entdeckung angeraten sind – jeder von ihnen ist anders –, hat vor Ort in Detroit recherchiert, besonders auch in der Künstlerszene. Das macht dies Buch ungeheuer authentisch, gibt ihm die Bodenhaftung. Umso begeisternder, wie sehr Lauren Beukes sich über alle Schwerkraft erhebt, den Ort und die Genres transzendiert.
James Ellroy meinte dazu: »Dig it: what a brilliant crime-phantasmagoria novel this is!!!!! This splendid novel is THE new primer on urban decay to the nth degree. I unhesitatingly urge you to buy it and read it now!!!«
Und dann noch ein Sachbuch: Sie steht noch aus, die Kulturgeschichte des Schmerzes in der Kriminalliteratur – obwohl der Schmerz doch gewiss für das Genre prägend ist. »Das Leiden anderer zu betrachten« (Susan Sontag), letztlich mehr oder weniger mitleiden zu müssen, die eigene Empfindsamkeit, Empathie oder Kaltblütigkeit zu testen oder zu erleben, das alles gehört zu den unterirdischen Motiven, sich Kriminalromanen auszusetzen. In keinem anderen Genre ist per se derart viel an Schmerz versammelt.
Vermutlich machen wir alle es uns zu wenig klar, wie viel an Verletzung und Qual ein mittlerer Kriminalroman enthält, deren Nahbetrachtung, vorzugsweise aus der Opferperspektive, dabei ein besonders gewinnträchtiges Segment. Machen Sie ein Experiment, liebe Leserinnen und Leser, betrachten Sie doch einmal die Cover auf den Krimi-Büchertischen in Hinblick auf das dort ausgebreitete und versprochene Schmerz-Potential. Wie oft ruft es Ihnen da entgegen: Hier tut es weh! Nietzsches »Ecce homo« – Ich leide, also bin ich -, findet hier großflächig irdische Niederkunft.
Nicht dass der Arzt und Wissenschaftsjournalist Harro Albrecht sich direkt mit dem Schmerz im Kriminalroman beschäftigen würde, sein Buch zielt erst einmal auf die 16 Millionen Deutschen, die unter andauernden oder wiederkehrenden Schmerzen leiden. Rücken-, Knie- oder Kopf- davon die häufigsten. Aber sein 608 Seiten starkes Buch geht weit über das Für und Wider von Schmerztherapien hinaus. Es leistet tatsächlich den Anfang einer Kultur- und Sozialgeschichte des Schmerzes.
Albrecht sagt: »Der Schmerz ist die Grenzfläche, an der Psyche und Körper aufeinandertreffen. Er ist ein Phänomen, welches das ganze menschliche Leben umfasst. Er ist die Grundlage vieler Religionen und Motor der Kultur. Ohne Schmerz keine Kunst, keine Sprache und kein Denken. Damit führt das Nachdenken über diese unangenehme, oft belastende Empfindung weit über die Medizin hinaus.«
Die antiken Griechen übrigens bezeichneten den Schmerz als Leidenschaft der Seele.