Globalisierungsopfer
»Captain Phillips« von Paul Greengrass
Paul Greengrass ist der Meister einer sehr eigenwilligen Verbindung von Thriller und zeitgeschichtlichem Dokudrama. Man kann seine Filme als perfektes und politisch halbwegs korrektes Spannungskino genießen. Man kann aber auch ein bisschen mehr darin sehen.
Der ehemalige Journalist und Dokumentarfilmer hat etwas über den Krieg im Irak (»The One that Got Away«), die Ereignisse des »Blutsonntag« in Derry im Jahr 1972 (»Bloody Sunday«) und die Entführung des Flugzeugs zum 9/11-Attentat (»United 93«) zu zeigen gewusst, was so weder die aktuelle Berichterstattung noch die rasch einsetzenden Fiktionalisierungen wiedergaben: Dass es nie wirklich um »die Guten gegen die Bösen« geht, sondern immer um verängstigte, unterdrückte und manipulierte Menschen in Extremsituationen. »Held« kann da höchstens einer sein, der sich noch im Angesicht der unabwendbaren Katastrophe seine Menschlichkeit bewahrt. Oder einen Teil davon.
Und solche Helden, darin steht Greengrass wohl in der Tradition des dokumentarischen Realismus in Großbritannien, sind immer die kleinen Leute, Menschen, die sich nicht zu Höherem berufen fühlen und nicht einmal einen besonderen Hang zur Selbstdarstellung haben. Insofern ist »Captain Phillips« fast schon so etwas wie ein »klassischer« Greengrass-Film: Die wahre Geschichte des amerikanischen Containerschiff-Kapitäns, der auf der Fahrt nach Mombassa den Albtraum solcher Reisen erlebt. Das Schiff fällt in die Hände somalischer Piraten, und um seine Crew zu retten, die sich im Maschinenraum verborgen hält, muss er sich auf ein gefährliches Spiel mit den Angreifern einlassen. Als es seinen Leuten gelingt, ihrerseits den Anführer der Piraten in ihre Gewalt zu bekommen, wird er als Geisel mit auf die Flucht im Rettungsboot verschleppt. Eine Tortur auf engstem Raum schließt sich an. Ein Fluchtversuch scheitert. Zu diesem Zeitpunkt hat sich indessen auch die gewaltige Maschinerie der amerikanischen Navy in Betrieb gesetzt. In der nun folgenden Befreiungsaktion ist allerdings von vorneherein klar, dass das Leben von Captain Phillips nicht das wichtigste Einsatz-Ziel ist.
In der Rolle des Captain Phillips kommt Tom Hanks endlich zu seiner Darstellung des ›straight american guy‹ zurück, der mit einem bescheidenen Lebensglück mehr als zufrieden wäre, dem Geschichte und Schicksal aber immer viel mehr abverlangen. Schon am Anfang sehen wir ihn als einen Menschen, der von den wirtschaftlichen Krisen und Ängsten gebeutelt ist wie jeder von uns. Ein Schiff führen, das ist der Job, mit dem er seine Familie ernährt, nichts von heroischer oder romantischer Geste. Und Kamerafahrten über endlose Reihen von Containern zeigen, worum es geht, um die weltweiten Ströme von Waren und Geld. Was sind da noch die Menschen? Auf der anderen Seite stehen die Fischer-Piraten, die von ihren Bossen angetrieben und ausgebeutet werden. Auch sie agieren mehr aus Zwang und Angst denn aus Gier und Grausamkeit. Ihre Anspannung bekämpfen sie vergeblich mit Kath-Kauen. Auch ihre Beute würde nicht sie reich machen, sondern die Warlords im Hintergrund. Zwischen dem Anführer der Piraten, Muse (Barkhad Abdi) und Captain Phillips könnte es unter anderen Umständen durchaus Verständnis, wenn nicht gar Freundschaft geben. Aber sie müssen einander bekämpfen, zwei Männer, die viel kleiner sind als ihre Aufraggeber, aber doch ein bisschen größer als der Rest.
Die Rettung von Captain Phillips, die man nicht wirklich glücklich nennen kann, ist der Sieg der militärischen Supermaschine in diesem grotesk asymetrischen Kampf. Greengrass schildert sie wie das Ablaufen eines Programms, mit so viel nüchterner Neugier, wie er an anderer Stelle Empathie und direktes Mitleiden zeigt. Den asymetrischen Krieg gewinnt hier die »technische« Seite. Ein andermal geht es anders aus, und dass Phillips am Ende überlebt, grenzt wohl schon an ein Wunder. Seine Widersacher haben dieses Glück nicht. Auch ihnen, das unterscheidet menschliches von reaktionärem Actionkino, wünscht man nicht den Tod.
Paul Greengrass filmt das alles in Jetztzeit, wie eine Reportage. Er schneidet uns buchstäblich ins Geschehen hinein, und er zeigt, was die heroischen Legenden nicht zeigen, nämlich was Dunkelheit, Enge, Angst, Verlust der Orientierung bedeuten, was es heißt, Entscheidungen zu treffen, inmitten des Chaos, was es heißt, Spielball von Kräften und Interessen zu sein, die nie zu fassen sind. Greengrass benutzt Action als Medium für die cineastische Darstellung von Globalisierung. Der wahre Kampf findet nicht zwischen Frachtern, Piraten und Militär statt. Der wahre Kampf spielt sich zwischen Märkten ab, von denen niemand wirklich sagen kann, was schlimmer ist: in sie eingeschlossen oder von ihnen ausgeschlossen zu sein.