Weiblich, ledig, weltgewandt
Wir treffen sie am Anfang der »Wilden Bestien von Wuhan« in Willemstad, der Hauptstadt von Curacao, als sie gerade Luft von einer Familienkreuzfahrt schnappt. Es folgt ein wenig Sightseeing, das Kura-Hulanda-Museum mit einer bedeutenden Ausstellung zur Geschichte des Sklavenhandels, die Synagoge mit einem Sandboden aus der Wüste Sinai. Dann klingelt Ava Lees Handy, ihr Onkel aus Hongkong ruft an. Eigentlich stammt er aus Wuhan, das ist die Hauptstadt der Provinz Hubei. Onkel – so werden wir ihn nennen lernen – hat einen Auftrag vom Kaiser von Hubei. Wong Changxing will zwar nicht so genannt werden, aber er ist ein für Ava Lee interessanter Klient, also sagt sie zu, bricht ihre Kreuzfahrt ab, nimmt uns Leser mit zum Hato Airport von Curacao, wo es kein W-LAN gibt. Der Flug in der Business Class erweist sich als »halbwegs annehmbar«.
Ava Lee ist Wirtschaftsprüferin, wohnt in Toronto und ist ständig rund um die Welt in Bewegung. Sie und ihr Onkel haben sich darauf spezialisiert, bei größeren Wirtschaftsverbrechen mit unkonventionellen Methoden einzugreifen, gegen gutes Honorar versteht sich. »Ein Racheengel des Wirtschaftsverbrechens« sei sie, so ihr Schöpfer, der Kanadier Ian Hamilton. Er war Journalist, bevor er für die kanadische Regierung arbeitete (was sich immer gut anhört) und dann als Geschäftsmann, etwa im Seafood-Business gute 20 Jahre durch die ganze Welt und besonders durch Asien reiste.
Das bildet sich in den bisher fünf Ava-Lee-Romanen ab, jeder von ihnen führt quer durch die Welt, meist auf Business- oder First-Class-Flügen. Insofern passen auch die handschmeichlerischen, mittelformatigen, mit Lesebändchen versehenen Hardcover-Ausgaben aus dem Verlag Kein & Aber. Mit ihnen kann man – pardon: frau – sich auch in der Airport-Lounge sehen lassen.
Die Jet-Set-Heldin Ava Lee trägt Markenware; wie bei diesen unten laufenden Textbändern auf bestimmten TV-Stationen werden wir fortwährend darüber informiert, auch etwa darüber, dass Ava ihre Tank-Francaise-Uhr abnimmt, bevor sie in die Badewanne steigt. Bei High Heels für mehr als tausend US-Dollar zuckt sie zwar ein wenig mit der Wimper, aber denkt sich dann: Ach was, ich setze sie einfach aufs Spesenkonto. Hier ein Zitat:
»Ava kleidete sich schon seit Jahren fast ausschließlich bei Brooks Brothers ein. Die edle, wie maßgeschneidert wirkende Kleidung passte zum Image der seriösen, professionellen Wirtschaftsprüferin, das sie nach außen hin verkörpern wollte. Bei 1,62 Meter Größe und fünfzig Kilo Gewicht hatten sie einen schlanken, straffen Körper, obwohl sie für eine Chinesin ungewöhnlich viel Oberweite hatte – sie gehörte zum kleinen Prozentsatz der Frauen, die auf einen Wonderbra verzichten konnten. Ihre Beine und Po waren dank Jogging und jahrelangem Bak-Mai-Unterricht durchtrainiert.«
Ava Lee ist lesbisch und keine Kostverächterin, es gibt eine nette Diskussion über sie in der internationalen Gay Community. Die »wilden Bestien« übrigens sind die »Fauves«, eine Gruppe französischer Maler zu Beginn des 20. Jahrhunderts: André Derain, Georges Braque, Raoul Dufy, Maurice de Vlaminck und Edgar Monet. Es geht um Kunstfälschung im großen Stil.
Die Ava-Lee-Romane:
– Die Wasserratte von Wanchai (The Water Rat of Wanchai). Kein & Aber, Zürich 2011.
– Der Jünger von Las Vegas (The Disciple of Las Vegas). Kein & Aber, Zürich 2012.
– Die wilden Bestien von Wuhan (The Wild Beasts of Wuhan). Kein & Aber, Zürich 2013.
– The Red Pole of Macau. Toronto, 2012.
– The Scottish Banker of Surabay. Toronto, 2013.
Die drei bisher auf Deutsch vorliegenden Romane wurden von Simone Jakob übersetzt.