Es gehört zu den Merkwürdigkeiten im deutschen Film, dass sein Name erst spät oder überhaupt nicht fällt, wenn von bedeutenden deutschen Regisseuren die Rede ist. Wolfgang Becker hat zwar nur wenige Filme gemacht, aber die zählen zum Besten, was in den letzten 50 Jahren hierzulande entstanden ist. Denn neben »Das Leben ist eine Baustelle« und »Ich und Kaminski« steht sein »Good Bye, Lenin« als der wohl originellste – und dabei auch noch sehr erfolgreiche – Beitrag zum Untergang der DDR.
Klar, dass er sich in seinem wortwörtlich letzten Film wieder mit der deutschen Teilung beschäftigt hat. Die Verfilmung des Romans von Maxim Leo war nämlich sein großer Wunsch, als er wusste, dass ihm mit einer Krebserkrankung nur noch wenig Lebenszeit blieb. Den Produzenten Stefan Arndt – auch ein Großer des deutschen Films – und Achim von Borries verdanken wir, dass Beckers Filmversion von »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« nun in die Kinos kommt.
Mit den Helden ist es heutzutage ja so eine Sache. Allenfalls gibt es kleine, stille Helden, Menschen, die andere gerettet haben und nur kurz in den Medien auftauchen, wenn sie für eine »große Story« taugen. Dass dies bei Micha Hartung der Fall sein könnte, ist gewissermaßen das Fundament für den Film, und dass man es ihm nicht so recht zutraut, macht den Film zu einer Komödie.
Dieser Micha Hartung betreibt noch im Jahr 2019, in einer Zeit also, in der die DVDs vom Internet abgelöst werden, eine ziemlich große Videothek in Berlin. Charly Hübner spielt ihn, und er ist geradezu prädestiniert für die Interpretation einer verkrachten Existenz, in deren Leben eine Menge schiefgegangen ist. Allein für seine wohlgeratene, erwachsene Tochter Leonie (Natalie Hartung) kann sich der hochverschuldete Vater glücklich schätzen. Ohne sie wäre er verloren, denn sie greift ihm hin und wieder unter die Arme.
Doch in Michas Vergangenheit gibt es eine Begebenheit, die ihn zu einem interessanten Menschen macht. Er war stellvertretender Stellwerksmeister am S-Bahnhof Friedrichstraße, wo das Westberliner Streckennetz einen streng abgeschirmten Bahnsteig in Ostberlin hatte. Er war für die falsch gestellte Weiche verantwortlich, die im Juni 1984 einen Zug mit 127 Ostberlinern in den Westteil der Stadt leitete. Somit für die DDR-Herrscher ein Fluchthelfer, der umgehend verhaftet wurde.
Aus westlicher Sicht ist er hingegen ein Held und eine idealer Protagonist für die Titelstory des Magazins »fakt« (wie üblich imitiert das Titelblatt den »Spiegel«) zum dreißigsten Jahrestags des Mauerfalls. Das glaubt jedenfalls der Redakteur Alexander Landmann (Leon Ullrich), der diesen streng geheimen Vorfall in DDR-Akten gefunden hat. Er kann, nicht ohne zuvor für die Premium-Mitgliedskarte zu zahlen, den widerwilligen Videothekar zu einem Interview überreden. Dabei legt er ihm die passenden Sätze in den Mund; Geld und Ruhm locken eben.
So wird in der Magazin-Story aus einem Missgeschick mit dem Bolzen der Weiche, der solch einen Vorfall verhindern sollte, eine Massenflucht und aus der Stasi-Haft, die Micha schnell wieder mit einem Schweige-Gelöbnis verlassen durfte, eine lange Haftstrafe mit Folter.
Verwicklungen bleiben natürlich nicht aus, zumal auch juristische Konsequenzen drohen. Für die unvermeidliche Liebesgeschichte, die Becker sehr am Herzen lag, sorgt die ehemalige S-Bahn-Insassin und jetzige Staatsanwältin Paula Kurz (Christiane Paul). Sie glaubt, endlich ihren Idealmann gefunden zu haben.
Der Film nimmt mit seiner erfundenen Geschichte die innerdeutschen Vorurteile aufs Korn, vornehmlich die westlichen. Das amüsiert, auch wenn die Schärfe mancher Komödien von Billy Wilder oder Helmut Dietl nicht erreicht wird. Beckers Humor – und der seines Co-Drehbuchautors Constantin Lieb – ist eher versöhnlich und auf Ausgleich bedacht. Das geht zuweilen auf Kosten der Komödie, hat aber eine andere, man möchte sagen: eine spezifisch deutsche Qualität.
