Bad Homburg entwickelt sich mehr und mehr zu einem Mittelpunkt der »schönen Künste« im Vordertaunus. Noch bis 5. Oktober ist eine Freilichtausstellung mit teils spektakulären Skulpturen in den Parks zu erleben (wir berichteten im vergangenen Monat über die »Blickachsen«), während sich für die neueste Ausstellung das Museum Sinclair-Haus auf Erkundungen der Dunkelheit eingerichtet hat: »Nachtleben«.
Ich möchte es vorwegnehmen: es ist wie ein berückender Spaziergang durch die Nacht, die Dunkelheit, der buchstäblich alle Sinne fordert.
Dass die Dunkelheit die Abwesenheit des Lichts sein soll, widerlegt diese Ausstellung in vielerlei Facetten: bei einer nächtlichen Wanderung durch die Lausitz beispielsweise wirken von Sven Johne fotografierte verlassene Höfe oder Ruinen wie Gemälde des Edward Hopper. Mit Infrarot-Kamera und Mikrofon fängt Joshua Bonnetta die geheimnisvollen Geräusche der Nacht und das Leben von nachtaktiven Tieren auf.
Bäume und Sträucher gewinnen in der Dunkelheit Konturen. Glühwürmchen, Insekten und Nachtfalter, Motten, die künstliches Licht umschwärmen – sie alle erfahren gezeichnet, nächtens fotografiert oder gar in aufwendigem, alten Tiefdruckverfahren (Sarah Gillespie) sichtbar gemacht ein bewussteres Wahrnehmen. »Sinneslandschaften« eröffnen sich in einem dunklen Raum, in dem sich im Mondlicht raschelndes Blattwerk und der Duft der Gräser und Blumen zu einem gelebten Traum verdichten. Die Künstlerin Anais Tondeur hat in Zusammenarbeit mit einer Parfümeurin einen Duft entstehen lassen, »der ihre Erinnerung an einen Traum in das Hier und Jetzt bringt«. »A breath, at night« scheint mir so etwas wie der Höhepunkt des sinnlichen Spaziergangs zu sein, in dem auch die unromantischen Kehrseiten der Nacht, der Dunkelheit nicht fehlen:
Satellitenbilder zeigen den nächtlichen Blick auf die Erde mit ihren Ballungsräumen und den damit verbundenen Grad der »Lichtverschmutzung«; »Nightcaps«, das sind Kugellaternen, denen Alona Rodeh ironische Mützen aufgesetzt hat. Fotos von nächtlichen Szenen in der Großstadt, Jugendtreffpunkte an Tankstellen führen die Lebendigkeit der Nacht eindrücklich vor.
Unterteilt in die drei Kapitel »Im Dunkeln tappen«, »Nachtschwärmer« und die erwähnten »Sinneslandschaften« ist diese Ausstellung eine eindringliche Erfahrung, die lange nachwirkt.
Als wunderbare Ergänzung sind die Fenster des Hauses mit unsichtbaren Folien abgedunkelt und ermöglichen damit einen besonderen Blick nach draußen, wo die Umgebung im rötlichen Dämmerlicht erscheint.
Mensch und Natur stehen im Museum Sinclair-Haus seit Bestehen im Mittelpunkt. Im besten Sinne interdisziplinär, denn die Ausstellungen werden stets begleitet von Lesungen, Vorträgen, Konzerten, Workshops für Kinder, Fortbildungskursen.
Die Ausstellung »Nachtleben« ist bis 15. Februar 2026 zu sehen, und zwar Dienstag bis Freitag 14–19 Uhr, jeden 1. Donnerstag im Monat 14–21 Uhr, Samstag und Sonntag 10–18 Uhr. Mittwochs bei freiem Eintritt.
Der Reiz der Dunkelheit – »Nachtleben« im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg
