Der Roman »Hope Hill Drive« von Garry Disher

Es ist sehr ländlich dort. Pferdekoppeln, manchmal eine kleine Bio-Farm, der Strand nicht fern, die Häuser weit verstreut, Orte ohne Ortskern, höchstens mit einem kleinen Einkaufszentrum. Die Straße zu Garry Dishers Haus ist ungeteert, ein von Baumkronen beinahe komplett überwucherter, langer Hohlweg, was für einen schönen Lichteinfall sorgt – das neue, offizielle Verlagsfoto wurde dort aufgenommen. Sein von Wald und Gebüsch umschlossenes Grundstück ist von beachtlicher Größe. Obstbäume, viele Gemüsebeete, Rasen, mitten drin ein altes Holzhaus, urgemütlich und männlich, die vordere Haushälfte ein einziger hoher Raum bis unters Dach, das eher kleine und karge Arbeitszimmer auf der Schattenseite des Hauses.
Was ihn denn am ländlichen Setting anziehe, fragte ich. Seine Antwort: Meist sei der Schauplatz eines Kriminalromans ja eine Stadt, der Detektiv kenne sich dort bestens aus, Harry Bosch zum Beispiel in Los Angeles oder Rebus in Edinburgh. Sie sind Insider. Dishers Constable Paul »Hirsch« Hirschhausen ist ins Hinterland strafversetzt. In »Bitter Wash Road« muss er sich erst einmal in einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden, kennt weder Leute noch lokale Gesetze, wird nicht akzeptiert. Wenn er ermittelt, beginnt er bei Null. Überall. Alles, was er tut, hat Konsequenzen, die er nicht überschaut. Er ermittelt sozusagen doppelt, für sich und für die Aufklärung eines Verbrechens. Er ist auf einer Reise. Es gibt keine Ruhe. Keine Heimat. Keinen Mittelpunkt. Sogar die Straßen, auf denen er fährt, werden zum Schauplatz, beeinflussen die Handlung. Jeder Ort bedeutet neue Informationen, neue Irritationen, Fehler, Sackgassen, Latenz. Mit anderen Worten: Ein kleines Kaff kann für einen Autor und seine Leser weit aufregender und »neuer« sein als jede Stadt. »And you end up with a novel«, lächelte Garry Disher.
In »Hope Hill Drive«, dem neuen Buch mit Hirsch, ist der stoische Polizist inzwischen in seinem Kaff Tiverton »angekommen«, kennt seine Schäfchen. Und Disher macht aus dem kleinen ländlichen Kosmos ein großartiges Buch. Auch Übersetzer Peter Torberg ist von dem Roman hellauf begeistert. Er sagt: »Wenn ein Autor sich beständig selbst übertrifft, dann ist das für den Übersetzer ein Fest.« Er übersetzt Disher seit 2005, seit »Flugrausch«, acht Bücher lang inzwischen, kennt ihn so gut wie kaum ein anderer. »Ich bekomme aus seinen Büchern mehr über Australien mit als aus einem Reiseführer oder aus der Zeitung«, sagt Torberg. »Das ist ein Mann, der richtig schreiben gelernt hat. Es macht großen Spaß, ihn zu übersetzen. Das ist ein Autor, der seine Figuren niemals in die Pfanne haut. Das ist ein feiner Mensch, sehr sympathisch.«
Wo andere Kriminalromane mit einem brutalen Verbrechen und einem Schock beginnen, ist es bei Garry Disher der kleine Provinzalltag, der sich in »Hope Hill Drive« zu einem atemberaubenden Kleinstadtpanorama entwickelt. Disher hat dabei seine Erzählfäden straff in der Hand. Er ist ein Meister des Plots, sinniert darüber bei seinen täglichen Spaziergängen. Seine Figuren und ihre Konflikte sind glaubhaft. Den Ort Tiverton gibt es nicht in der Realität, ganz nahebei aber liegt Burra, wo Disher am 15. August 1949 geboren wurde. Jedes Weihnachten besucht er dort immer noch seine Verwandten. Hier ein Auszug aus einem Interview, das ich mit ihm geführt habe.

Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, war das erste Buch mit Hirsch gerade abgeschlossen. Ich erinnere mich genau, dass du es als Einzelbuch gesehen hast, als einen Ausflug in die Landschaft deiner Kindheit. Wie kam es jetzt zu »Hope Hill Drive«?
Hirsch hat mich nicht allein gelassen. Er hat mir immer gesagt, dass ich mit ihm noch nicht fertig bin.

In Australien erscheint jetzt im Herbst sogar schon ein dritter Roman mit Hirsch. Können wir dazu mehr erfahren?
Hirsch #3 trägt in Australien den Titel »Consolation« (Trost) und kommt Ende Oktober heraus. Australische Kriminalromane spielen gerne auf dem Land, im trocken-heißen dürren Buschfeuer-Country. Sie sind ein wenig zum Klischee geworden, zum sogenannten »Outback Noir«. Um das zu konterkarieren, lasse ich »Consolation« im Winter spielen. Eisiger Wind, Regen, Fahrzeuge, die im Schlamm steckenbleiben, grün sprießende Getreidefelder und Schnee auf den nächsten Hügeln. So ist es dort oft, wenn ich an Weihnachten bei meinen Geschwistern bin.

Und wann spielt das Buch?
Es ist im Jahr 2019 angesiedelt. Eigentlich wollte ich es heute spielen lassen. Covid 19 fasziniert mich. Ich wollte unsere Reaktionen darauf mit zum Thema machen, aber dann ist mir klar geworden, dass die Pandemie noch keineswegs vorbei ist. Wir alle wissen nicht, wie das ausgeht und wie lange uns das noch beschäftigen wird. Hier bei uns im Bundesstaat Victoria erleben wir gerade den zweiten Lockdown. Alles, was ich dazu geschrieben hätte, wäre dem Risiko ausgesetzt gewesen, bei Erscheinen veraltet zu sein.

Gibt es irgendwann ein Wiedersehen mit einer anderen Romanfigur von dir, mit dem Räuber Wyatt?
Ganz sicher. Die Wyatt-Romane sind mir eine willkommene Abwechslung von meinen anderen, etwas komplexeren Kriminalromanen. Wyatt ist ein ziemlich unkomplizierter Charakter. Er weiß, was er tut. Er weiß, was er will. Ich muss mir keine Sorgen um sein Seelenheil machen oder um seine Zweifel und Skrupel. Er hat nämlich keine. Ihm folge ich mit kalten, harten, lapidaren und kurzen Sätzen.

Du schreibst deine Bücher noch immer mit der Hand?
Durch eine Tastatur kann ich nicht denken. Meine Kreativität steht in direkter Verbindung mit meiner Hand, so kann ich schnell schreiben, mich leicht korrigieren, Anmerkungen und Fußnoten machen. Das geschieht alles instinktiv. Die handgeschriebene Rohfassung tippe ich dann regelmäßig ab, meistens ist das am Nachmittag. Dabei mache ich schon Korrekturen. Das erste getippte Manuskript ist also bereits die zweite Fassung.

Du bezeichnest dich selbst als verlässlich. Von dir könne man jedes Jahr ein Buch erwarten. Gilt das auch für die Zukunft? Können wir uns für jedes Jahr auf einen neuen Disher einstellen?
Ich kann mir nicht vorstellen, je etwas anderes zu machen als Schreiben, und hoffe, dass mein Geist, meine Kreativität und meine Gesundheit mir jedes Jahr ein Buch erlauben. Wenn das einmal nachlassen sollte, hoffe ich, dass gute Freunde mich darauf aufmerksam machen.

Deine nächste Lesetour durch Deutschland ist wann geplant?
Ich würde liebend gerne wieder nach Deutschland kommen. Bisher war ich dreimal da und habe jede Minute genossen. Aber solange das Virus so aktiv ist, bin ich sehr zurückhaltend, mich in ein Flugzeug, einen Zug oder mit Fremden in einen geschlossenen Raum zu setzen. Es dauert also noch.

»Hope Hill Drive« war in Australien ein Riesenerfolg. Wie fühlt sich das an?
Mein australischer Verlag hat für dieses Buch wirklich kräftig in das Marketing investiert. Das Ziel war es, neue Leser für meine Art Literatur zu finden, und das hat sich ausgezahlt. Dafür bin ich sehr dankbar, aber ich bin auch realistisch. Mein Verlag kann nicht in jedes meiner Bücher so investieren. Ich hoffe also, dass meine neuen Leser bei mir bleiben.

Sind Kriminalromane die Literatur unserer Zeit?
(Disher nickt heftig) Das glaube ich in der Tat. Kriminalromane packen aktuelle Themen an wie häusliche Gewalt, Rassismus, Ungerechtigkeit, Schwulenfeindlichkeit, sie erforschen auch, was Korruption und Verbrechen in unserer Gesellschaft anrichten – die sogenannte höhere Literatur lässt uns in dieser Hinsicht eher im Stich – und sie erzählen gute Geschichten. Kriminalromane mögen eskapistisch sein, manche von ihnen sind Schund, aber die guten fordern uns intellektuell ebenso sehr wie sie uns unterhalten. Sie sind Literatur im besten Sinn.

Es ist sehr ländlich dort. Pferdekoppeln, manchmal eine kleine Bio-Farm, der Strand nicht fern, die Häuser weit verstreut, Orte ohne Ortskern, höchstens mit einem kleinen Einkaufszentrum. Die Straße zu Garry Dishers Haus ist ungeteert, ein von Baumkronen beinahe komplett überwucherter, langer Hohlweg, was für einen schönen Lichteinfall sorgt – das neue, offizielle Verlagsfoto wurde dort aufgenommen. Sein von Wald und Gebüsch umschlossenes Grundstück ist von beachtlicher Größe. Obstbäume, viele Gemüsebeete, Rasen, mitten drin ein altes Holzhaus, urgemütlich und männlich, die vordere Haushälfte ein einziger hoher Raum bis unters Dach, das eher kleine und karge Arbeitszimmer auf der Schattenseite des Hauses.
Was ihn denn am ländlichen Setting anziehe, fragte ich. Seine Antwort: Meist sei der Schauplatz eines Kriminalromans ja eine Stadt, der Detektiv kenne sich dort bestens aus, Harry Bosch zum Beispiel in Los Angeles oder Rebus in Edinburgh. Sie sind Insider. Dishers Constable Paul »Hirsch« Hirschhausen ist ins Hinterland strafversetzt. In »Bitter Wash Road« muss er sich erst einmal in einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden, kennt weder Leute noch lokale Gesetze, wird nicht akzeptiert. Wenn er ermittelt, beginnt er bei Null. Überall. Alles, was er tut, hat Konsequenzen, die er nicht überschaut. Er ermittelt sozusagen doppelt, für sich und für die Aufklärung eines Verbrechens. Er ist auf einer Reise. Es gibt keine Ruhe. Keine Heimat. Keinen Mittelpunkt. Sogar die Straßen, auf denen er fährt, werden zum Schauplatz, beeinflussen die Handlung. Jeder Ort bedeutet neue Informationen, neue Irritationen, Fehler, Sackgassen, Latenz. Mit anderen Worten: Ein kleines Kaff kann für einen Autor und seine Leser weit aufregender und »neuer« sein als jede Stadt. »And you end up with a novel«, lächelte Garry Disher.
In »Hope Hill Drive«, dem neuen Buch mit Hirsch, ist der stoische Polizist inzwischen in seinem Kaff Tiverton »angekommen«, kennt seine Schäfchen. Und Disher macht aus dem kleinen ländlichen Kosmos ein großartiges Buch. Auch Übersetzer Peter Torberg ist von dem Roman hellauf begeistert. Er sagt: »Wenn ein Autor sich beständig selbst übertrifft, dann ist das für den Übersetzer ein Fest.« Er übersetzt Disher seit 2005, seit »Flugrausch«, acht Bücher lang inzwischen, kennt ihn so gut wie kaum ein anderer. »Ich bekomme aus seinen Büchern mehr über Australien mit als aus einem Reiseführer oder aus der Zeitung«, sagt Torberg. »Das ist ein Mann, der richtig schreiben gelernt hat. Es macht großen Spaß, ihn zu übersetzen. Das ist ein Autor, der seine Figuren niemals in die Pfanne haut. Das ist ein feiner Mensch, sehr sympathisch.«
Wo andere Kriminalromane mit einem brutalen Verbrechen und einem Schock beginnen, ist es bei Garry Disher der kleine Provinzalltag, der sich in »Hope Hill Drive« zu einem atemberaubenden Kleinstadtpanorama entwickelt. Disher hat dabei seine Erzählfäden straff in der Hand. Er ist ein Meister des Plots, sinniert darüber bei seinen täglichen Spaziergängen. Seine Figuren und ihre Konflikte sind glaubhaft. Den Ort Tiverton gibt es nicht in der Realität, ganz nahebei aber liegt Burra, wo Disher am 15. August 1949 geboren wurde. Jedes Weihnachten besucht er dort immer noch seine Verwandten. Hier ein Auszug aus einem Interview, das ich mit ihm geführt habe.

Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, war das erste Buch mit Hirsch gerade abgeschlossen. Ich erinnere mich genau, dass du es als Einzelbuch gesehen hast, als einen Ausflug in die Landschaft deiner Kindheit. Wie kam es jetzt zu »Hope Hill Drive«?
Hirsch hat mich nicht allein gelassen. Er hat mir immer gesagt, dass ich mit ihm noch nicht fertig bin.

In Australien erscheint jetzt im Herbst sogar schon ein dritter Roman mit Hirsch. Können wir dazu mehr erfahren?
Hirsch #3 trägt in Australien den Titel »Consolation« (Trost) und kommt Ende Oktober heraus. Australische Kriminalromane spielen gerne auf dem Land, im trocken-heißen dürren Buschfeuer-Country. Sie sind ein wenig zum Klischee geworden, zum sogenannten »Outback Noir«. Um das zu konterkarieren, lasse ich »Consolation« im Winter spielen. Eisiger Wind, Regen, Fahrzeuge, die im Schlamm steckenbleiben, grün sprießende Getreidefelder und Schnee auf den nächsten Hügeln. So ist es dort oft, wenn ich an Weihnachten bei meinen Geschwistern bin.

Und wann spielt das Buch?
Es ist im Jahr 2019 angesiedelt. Eigentlich wollte ich es heute spielen lassen. Covid 19 fasziniert mich. Ich wollte unsere Reaktionen darauf mit zum Thema machen, aber dann ist mir klar geworden, dass die Pandemie noch keineswegs vorbei ist. Wir alle wissen nicht, wie das ausgeht und wie lange uns das noch beschäftigen wird. Hier bei uns im Bundesstaat Victoria erleben wir gerade den zweiten Lockdown. Alles, was ich dazu geschrieben hätte, wäre dem Risiko ausgesetzt gewesen, bei Erscheinen veraltet zu sein.

Gibt es irgendwann ein Wiedersehen mit einer anderen Romanfigur von dir, mit dem Räuber Wyatt?
Ganz sicher. Die Wyatt-Romane sind mir eine willkommene Abwechslung von meinen anderen, etwas komplexeren Kriminalromanen. Wyatt ist ein ziemlich unkomplizierter Charakter. Er weiß, was er tut. Er weiß, was er will. Ich muss mir keine Sorgen um sein Seelenheil machen oder um seine Zweifel und Skrupel. Er hat nämlich keine. Ihm folge ich mit kalten, harten, lapidaren und kurzen Sätzen.

Du schreibst deine Bücher noch immer mit der Hand?
Durch eine Tastatur kann ich nicht denken. Meine Kreativität steht in direkter Verbindung mit meiner Hand, so kann ich schnell schreiben, mich leicht korrigieren, Anmerkungen und Fußnoten machen. Das geschieht alles instinktiv. Die handgeschriebene Rohfassung tippe ich dann regelmäßig ab, meistens ist das am Nachmittag. Dabei mache ich schon Korrekturen. Das erste getippte Manuskript ist also bereits die zweite Fassung.

Du bezeichnest dich selbst als verlässlich. Von dir könne man jedes Jahr ein Buch erwarten. Gilt das auch für die Zukunft? Können wir uns für jedes Jahr auf einen neuen Disher einstellen?
Ich kann mir nicht vorstellen, je etwas anderes zu machen als Schreiben, und hoffe, dass mein Geist, meine Kreativität und meine Gesundheit mir jedes Jahr ein Buch erlauben. Wenn das einmal nachlassen sollte, hoffe ich, dass gute Freunde mich darauf aufmerksam machen.

Deine nächste Lesetour durch Deutschland ist wann geplant?
Ich würde liebend gerne wieder nach Deutschland kommen. Bisher war ich dreimal da und habe jede Minute genossen. Aber solange das Virus so aktiv ist, bin ich sehr zurückhaltend, mich in ein Flugzeug, einen Zug oder mit Fremden in einen geschlossenen Raum zu setzen. Es dauert also noch.

»Hope Hill Drive« war in Australien ein Riesenerfolg. Wie fühlt sich das an?
Mein australischer Verlag hat für dieses Buch wirklich kräftig in das Marketing investiert. Das Ziel war es, neue Leser für meine Art Literatur zu finden, und das hat sich ausgezahlt. Dafür bin ich sehr dankbar, aber ich bin auch realistisch. Mein Verlag kann nicht in jedes meiner Bücher so investieren. Ich hoffe also, dass meine neuen Leser bei mir bleiben.

Sind Kriminalromane die Literatur unserer Zeit?
(Disher nickt heftig) Das glaube ich in der Tat. Kriminalromane packen aktuelle Themen an wie häusliche Gewalt, Rassismus, Ungerechtigkeit, Schwulenfeindlichkeit, sie erforschen auch, was Korruption und Verbrechen in unserer Gesellschaft anrichten – die sogenannte höhere Literatur lässt uns in dieser Hinsicht eher im Stich – und sie erzählen gute Geschichten. Kriminalromane mögen eskapistisch sein, manche von ihnen sind Schund, aber die guten fordern uns intellektuell ebenso sehr wie sie uns unterhalten. Sie sind Literatur im besten Sinn.

Alf Mayer (Foto: © Darren James)

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