Deutscher Krimi-Preis 2013

Leseempfehlungen

Deutscher Krimi-Preis 2013Zwei Männer laufen über ein Feld an der deutsch-polnischen Grenze. Da werden sie erschossen. Hat man sie für Wildschweine gehalten? War es ein Jagdunfall? Die Sache wird nie geklärt. Es waren ja nur zwei Roma. Und das alles ist 20 Jahre her. Merle Kröger hat darüber mit Philip Scheffner den Dokumentarfilm »Revision« gemacht – und sich nun mit »Grenzfall«, einem Kriminalroman, erneut dem Geschehen angenähert.
Das Ergebnis ist ein außergewöhnlich interessanter, souveräner und exzellent geschriebener Roman – für Merle-Kröger-Insider noch einmal mehr verblüffend, weil sie ihre fiktiven Heldin, die indisch-stämmige Mattie Junghans und ihren Sidekick Nick Ostrowski aus »Kyai!« und »Cut!«, wie selbstverständlich in die Ermittlungen integriert. Merle Kröger schreibt einen ganz wunderbaren Stil. Kurze, knappe Sätze. Vier, fünf Worte meist. Sie ist sofort in der Situation, nein: nicht sie. der Leser ist es. Das Panorama, das sie in »Grenzfall« entfaltet, ist wahrhaft europäisch. Es reicht von Turnu Severin in der Walachei/Rumänien bis zur Hansestadt Kollwitz in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin-Kreuzberg bis Frankfurt am Main, Languedoc-Roussillon bis Polen oder das transsilvanische Rumänien. Alles andere als politisch korrekt wird hier unser Weltbild ganz schön durcheinander gewirbelt. Mittäterschaft und Zivilcourage, Familie und sozialer Zerfall, Wissen und Wegschauen, Mitmachen oder Widerstand leisten, die Blickwinkel verschieben sich dauernd. Die Erzählhaltung Merle Krögers ist staunenswert und ungestüm, sie ist sozusagen der Jimi Hendrix der deutschen Krimikultur. »Grenzfall« ist ein Meisterstück.

Soviel Übereinstimmung wie dieses Mal war denn dann auch noch nie für einen ersten Platz. Mit weitem Punkteabstand zu den anderen Preisträgern wurde  »Grenzfall« von Merle Kröger beim 29. Deutschen Krimipreis 2013 zum besten deutschsprachigen Kriminalroman gewählt. Es ist der älteste deutsche Krimipreis. Seit 1985 zeichnet eine Jury aus Krimi-Kritikern, Literaturwissenschaftlern und Krimi-Buchhändlern die jeweils drei besten deutschen und internationalen Kriminalromane des Jahres aus, die »inhaltlich originell und literarisch gekonnt dem Genre neue Impulse verleihen«.

Auch die weiteren Preisträger dieses Jahres sind hiermit zur Lektüre empfohlen. Ist es ein Zufall, daß der beste internationale Titel ebenfalls von einer Frau stammt? Und ebenfalls kühn und intelligent mit den Erzählebenen spielt? Der Inhalt von Sara Grans »Stadt der Toten«, hier plakativ verkürzt: Claire DeWitt soll im vom Hurrikan Katrina verwüsteten New Orleans einen verschollenen Bezirksanwalt finden. Aber lesen Sie selbst …

Alf Mayer

29. Deutscher Krimi Preis 2013 National
1. Platz: Merle Kröger: Grenzfall (Argument)
2. Platz: Friedrich Ani: Süden und das heimliche Leben  (Knaur)
3. Platz: Oliver Bottini: Der kalte Traum (Dumont)

International
1. Platz: Sara Gran: Die Stadt der Toten (Claire deWitt and The City of the Dead) Deutsch von Eva Bonné (Droemer)
2. Platz: Helon Habila: Öl auf Wasser (Oil on Water) Deutsch von Thomas Brückner (Verlag Das Wunderhorn)
3. Platz: Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels (The Devil all the Time) Deutsch von Peter Torberg (Liebeskind)

Die Jury: Volker Albers (Hamburger Abendblatt) / Andreas Ammer (ARD) / Joachim Feldmann (Am Erker) / Tobias Gohlis (Die Zeit) / Günther Grosser (Berliner Zeitung) / Nele Hoffmann / Reinhard Jahn (Bochumer Krimi Archiv) / Hermann Kling / Alf Mayer (Strandgut)/ Peter Münder / Wolfgang Niess (SWR) / Ulrich Noller (WDR) / Michaela Pelz (krimi-forum.de) / Kirsten Reimers (alligatorpapiere.de) / Lars Schafft (krimi-couch.de) / Jan Christian Schmidt (kaliber38.de) /  Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau) / Willy Theobald (Gruner & Jahr) / Bettina Thienhaus / Thomas Wörtche (CULTurMAG), sowie die Krimi-Buchhandlungen: Jutta Wilkesmann (Die Wendeltreppe, Frankfurt Main) / Manfred Sarrazin (Köln) /  Monika Dobler (glatteis, München) / Christian Koch (Hammett, Berlin) / Thomas Przybilka (Missing Link) / Robert Schekulin (Berlin) / Juliane Hansen (Under-Cover, Stuttgart) / Cornelia Hüppe-Binder (Miss Marple, Berlin) / Hans W. Kohlmann (Whodunnit, Leipzig)

 

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