Die Mission, die Vision, die Realität – Aufbruch zur modernen Stadt: Frankfurt, Wien, Hamburg im MAK

Zum Abschluss des intensiv gefeierten 100-Jahr-Geburtstages des »Neuen Frankfurt« begibt sich das Museum für Angewandte Kunst erneut auf Spurensuche und wagt die Bestandaufnahme: Welche städtebaulichen Konzepte nach dem ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Monarchien wurden wo und wie verwirklicht? In welcher Verbindung standen sie, formten den »neuen Menschen«, das »neue Bauen«, formulierten eine »neue Ästhetik«? Das Frankfurt Ernst Mays und Ludwig Landmanns, das Hamburg des »Backsteinpapstes« Fritz Schuhmachers und Wien, die Metropole des »Austromarxismus«. Was ist davon geblieben?
Kommt darauf an. Die Ausgangslage war klar: Zusammenbruch der Systeme, Millionen wohnungsloser Menschen, Rückkehr der Soldaten, für die der Staat Verantwortung übernehmen musste. Allein beim Frankfurter Wohnungsamt wurden damals 18.000 Notfälle registriert, weiß der Kurator und ehemalige Chef des DAM, Wolfgang Voigt.
Das Projekt Frankfurt war vielleicht das prägendste auf dem Gebiet der Ästhetik, das wird bei diesem dokumentarisch angelegten Ausstellungsrundgang klar. An den in Lichtgrau gehaltenen Wänden prangen nicht nur zahlreiche Fotos von den Siedlungen Römerstadt, Westhausen, der Siedlung »Zickzackhausen« und weiterer, nicht ganz so bekannter und sich nicht so sehr in die allgemein gültige Ikonografie dieses Bauprojekts einfügende wie die Siedlung Tornow in der Mainzer Landstraße, wo man mit dem Plattenbau experimentierte, sondern auch die Titelblätter der Monats-Zeitschrift »Das neue Frankfurt«. Ein bisschen Dada, ein bisschen Bauhaus, auf alle Fälle ausgesprochen intellektuell, exemplarische Beispiele für die Ästhetik der Moderne. Der Vertrieb war international: sogar in Japan gab es 130 Abonnenten. Eine klassische Arbeiterzeitung sieht ein bisschen anders aus.
Dass die Wohnungsbaukonzepte des Neuen Frankfurt, das sich gerne das Etikett »Weltkulturerbe« verdienen möchte, sich nicht explizit an die Arbeiterschaft richteten, zeigt allein schon die Dimension. Hier wurden Häuser gebaut, klein und preiswert zwar, aber immerhin Häuser mit eigenem Bad und einer von Margarete Schütte-Lihotzky nach wissenschaftlichen Kriterien entworfenen Küche. Die Standorte lagen außerhalb des Stadtkerns in ruhiger Landschaft. Jedes Haus, jede Wohnung hatte einen Garten, der auch für Anbau geeignet war. In Zickzackhausen gab es sogar Swimmingpools. Sport, Natur, gesunde Ernährung – der moderne Mensch, schlussfolgert Voigt, »wird über seine Freizeit definiert«.
Hamburgs Stadtbaudirektor Fritz Schumacher ließ am Dulsberg in der Nachbarschaft von Barmbek sozialen Wohnungsbau in Blockbauten realisieren, deren Geschlossenheit durch offene eingeschossige Seitenflügel aufgelockert wurde. In ihnen brachte man Gemeinschaftseinrichtungen unter. Das dekorative Element spielte hier eine untergeordnete Rolle – Schumacher selbst baute nur 200 Wohnungen, weitere Projekte überließ er anderen Architekten, so dass nicht so sehr ein einheitliches, ikonisches Gesamtbild erzeugt wurde.
Wie die drängende Wohnungsnot im roten Wien gelöst wurde, zeigen beispielhaft die Gemeindebauten, oft mit mehr als tausend Wohnungen, der bekannteste davon, der 1930 fertiggestellte Karl-Marx-Hof. Meilenlange Mehrgeschossblocks, durchbrochen von dekorativen Bogendurchgängen, in der Mitte Grünflächen, die als Spielplatz und zum Wäscheaufhängen dienen, im Souterrain Gemeinschaftseinrichtungen. Die Wohnungen bestanden meist nur aus Wohnküche und Schlafzimmer, Toiletten befanden sich auf dem Gang. Duschräume waren im Souterrain untergebracht ebenso wie Waschküchen und Bibliotheken. Anfänglich befanden sich dort auch Gemeinschaftsküchen, damit nicht jede Frau jeden Tag kochen musste, weil und wenn sie berufstätig war.
Sicherlich sind diese Superblocks, in denen insgesamt 65.000 kommunale Neubauwohnungen untergebracht waren, auch architektonisch eine Besonderheit, aber da diese Quartiere sich auf dem Stadtgebiet befanden und nicht am Rande wie in Frankfurt, fiel die Gestaltung flexibler aus. Die politischen Verhältnisse waren auch ganz andere: Während in Frankfurt Oberbürgermeister Ludwig Landmann in wechselnden Koalitionen regierte, dominierten in Wien die Sozialisten. Wien hatte als Hauptstadt eigene Steuerhoheit, die ihr erlaubte, vom vermögenden Teil der Bevölkerung eine Wohnungsbausteuer zu erheben und sie zweckgebunden in den sozialen Wohnungsbau zu investieren.
Und da steht Wien bis heute: etwa jeder Zweite lebt in einer geförderten Wohnung. Die auf dem freien Markt angebotenen Mieten können also gar nicht diese unbezahlbaren Höhen erklimmen wie in Frankfurt, München, Berlin … felix felix Austria!

Susanne Asal / Foto: Ausstellungsansicht
Foto: Günzel/Rademacher
© Museum Angewandte Kunst
Bis 25. Januar 2026: Di., Do.–So., 10–18 Uhr; Mi., 10–20 Uhr,
www.museumangewandtekunst.de

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