Oben ohne und mit aufgemalten Slogans kämpften ab 2008 FEMEN-Aktivistinnen gegen Korruption und Sextourismus in der Ukraine, doch das Regime schlug zurück. In dieser mitreißenden französisch-ukrainischen Filmbiographie wird das tragische Leben einer FEMEN-Mitgründerin, der Malerin Oksana Schatschko, erzählt, die sich im Pariser Asyl das Leben nahm.
Manche Gemälde haben die Wirkung von Ikonen, und dazu zählt besonders »Die Freiheit führt das Volk« von Eugène Delacroix. Seine Marianne, die, oben ohne, die französische Fahne schwenkt und Revolutionäre anführt, diente, so legt es diese Filmbiografie nahe, auch Oksana Schatschko als Inspiration. Und mit der mystischen Bedeutung von Ikonen kannte sich die Ukrainerin, die bereits als achtjähriges Wunderkind eine eigentlich Männern vorbehaltene Schule für Ikonenmalerei besucht hatte, aus.
Der rote Faden dieser ebenso energiegeladenen wie melancholischen Chronik ihres kurzen Lebens ist die Kunst, die für Oksana gleichbedeutend mit Revolte war. Ihre Geschichte wird in zwei Geschwindigkeiten erzählt: die erste Ebene handelt vom Ablauf des 23. Juli 2018, jenem Tag, an dem sich die 31-jährige das Leben nahm. Durchwoben ist dieser Bericht von den Stationen ihres Werdegangs. Im Kunststudium in Kiew wandelt sie sich vom tiefreligiösen Mädchen zur Mitbegründerin der Gruppe FEMEN. International bekannt wurden die Feministinnen durch gewagte Protestaktionen. Mit aufgemalten Parolen wie »Die Ukraine ist kein Bordell« auf den nackten Brüsten, auf dem Kopf den traditionellen Blumenkranz des Kupala-Festes, prangern sie Korruption, Missbrauch und Sextourismus an. Doch das Imperium schlägt zurück. Nach brutaler Repression und Isolationshaft findet sie mit ihren Freundinnen ab 2013 in Paris Asyl. Eine traurige Analogie zu den Dreharbeiten dieses Films, die ursprünglich in der Ukraine stattfinden sollten – doch stattdessen mussten die ukrainischen Schauspielerinnen nach Paris fliehen.
Das Porträt dieser »Sextremistin« erweist sich als eine mitreißende Montage hautnah inszenierter Schlüsselmomente. Da ist die postsowjetisch kaputte Heimat, deren Tristesse Oksana in ausgelassenen Kneipenrunden und kreativen Provokationen entflieht. Die Fröhlichkeit der Anfänge mit ihrer romantischen »lebe wild und gefährlich«-Stimmung weicht tatsächlich lebensgefährlichen Aktionen. Und nachdem Oksana, mit gebrochenen Armen, in Paris angekommen ist, entzweien sich die Aktivistinnen über strategischen Fragen.
Euphorische Frauensolidarität, Todesangst in den Händen des KGB, Einsamkeit und Bedeutungsverlust in Paris, wo die Ukrainerinnen zu Maskottchen der Bohème werden: eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die einen auch dank des intensiven Spiels der Ukrainerin Albina Korzh, klein, mager und schön, nicht unberührt lässt (die reale Oksana ist etwa im arte-Dokumentarfilm »Apolonia, Apolonia«, einem Porträt der französischen Malerin Apolonia Sokal, die mit Oksana in Paris zusammenlebte, zu sehen).
Zwar verweigert sich dieses Requiem billiger Küchenpsychologie. Doch hinter der selbstzerstörerischen Getriebenheit der Heldin wird stets der Motor ihrer Empörung, das Ausgeliefertsein an eine patriarchalische Gesellschaft, deutlich. So ist der Film auch eine Hommage an FEMEN, eine Frauenbewegung von unten. Bis heute protestieren die Aktivistinnen unter hohem persönlichem Risiko ebenso gegen Prostitution, Kinderhandel und Leihmutterschaft wie gegen die Scharia und gegen Putin.
