Eingebildete Kranke im Palmengarten

Dafür, dass Iiro Rantala gern »die Hälfte aller Sängerinnen und Sänger zum Schweigen bringen« (Kammeroper) möchte, hat er als Komponist seiner komischen Oper »Sanatorio Express« den Protagonisten doch sehr viel Raum gegeben. So dürfen sich in der Geschichte um ein obskures Sanatorium mit einem Wunderheiler und, wie es im Text heißt, »persönlichen Heiland« einige eingebildete Kranke so richtig nach Art des Rossini in Arien, Duetten und grotesken Rezitativen austoben. Da ist eine namenlose Sopranistin, die für ein Wochenende in diese Anstalt geht (darstellerisch grandios und stimmgewaltig bis in höchste Höhen: Annette Fischer), um sich von ihrer Fresssucht erlösen zu lassen. Die Therapie des Klinik-»Chefarztes« beschränkt sich allerdings eher auf Anmache der üppigen Dame: großartig hier Alexander Winn als schmieriger Scharlatan in kurzen Hosen, Knie-strümpfen und Strumpfhalter, stets eine Art Penis am Halsband schwenkend.
Im ersten Akt finden sich Charaktere jeder Couleur in der Klinik ein: Kaufsüchtige, Liebesbedürftige, Hypochonder folgen den Anweisungen zur »Selbsthilfe«. Ein Tenor (amüsant wehleidig David Jakob Schläger) beklagt in einer Arie, dass er »ganz allein auf der Welt« sei und findet seine Liebe in der Sopranistin – von da ab im Duett, wollen sie »leben in Dekadenz«. Doch überraschend taucht Noch-Ehemann auf, der seine Noch-Ehefrau zurückholen will.
Der zweite Akt spielt sich, ganz finnisch(!), in einer Sauna ab: frustrierter Ehemann (Christoph Kögel) macht sich an den Wunderheiler ran (gemeinsames Duett inklusive), so ist auch das Thema LGBTQ lakonisch abgearbeitet – das ganze Geschehen irgendwie beobachtet und sparsam kommentiert von einer Rezeptionistin (Cornelia Hasenbauer setzt sich als laszive Empfangsdame in Szene).
Das kleine Orchester unter Stanislav Rosenberg (der auch die Texte der finnischen Autorin Minna Lindgren ins Deutsche übersetzte) begleitet die teils launigen, teils turbulenten Arrangements für die Selbstoptimierer stets angemessen, Regisseurin Dzuna Kalnina bringt ein wenig finnische Melan-cholie und hintergründigen Witz in die Inszenierung. So fühlten sich auch einige finnische Zuschauer bei der Premiere unter der Frankfurter Mitternachtssonne für zwei Stunden durchaus heimisch.
Verbleibende Termine im Juli: 26., 27., 31.7. jeweils 19.30 Uhr.
Als Ergänzung wird es Liederabende geben, die musikalisch »Fröhliche Neurosen« feiern von Henry Purcell über Jacques Offenbach und Wagner bis zu Franz Lehár.

Bernd Havenstein
Termine: 2., 3., 7., 9., 10. August jeweils 19.30 Uhr
Orchestermuschel im Palmengarten
Kartentelefon: 069/13 40 400 oder Abendkasse

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