Kontrollierter Absturz
»Flight« von Robert Zemeckis
Vor mehr als zehn Jahren wußte man noch, wo man dran ist mit Denzel Washington. Damals waren seine Figuren zumeist positive Helden, die von ihm großzügig mit Präsenz und Charisma ausgestattet wurden. Aber seit Washington in »Training Day« (2001) den korrupten Cop spielte und dafür sogar mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, ist kein Verlaß mehr auf die Integrität seiner Charaktere.
Robert Zemeckis »Flight« spielt gleich zu Beginn mit den produktiven Zuordnungsschwierigkeiten, die sein Hauptdarsteller mittlerweile beim Publikum auslöst. In der ersten Szene sieht man Washington am Morgen mit einer jungen Frau im Bett liegen. Überquellende Aschenbecher, ein glimmender Joint und leere Flaschen zeugen von einer durchzechten Nacht. Um sich auf Touren zu bringen, zieht der Mann zwei lange Linien Kokain die Nase hoch, und im nächsten Bild sieht man ihn, wie er in einer schmucken Flugkapitänsuniform das Hotelzimmer verläßt.
Voll bedröhnt steigt Whip Whitaker ins Cockpit. Als der Flieger außer Kontrolle gerät und steil nach unten stürzt, gelingt dem versierten Piloten dennoch ein halsbrecherisches Flugmanöver und eine Bruchlandung auf freiem Feld, die allen Passagieren das Leben rettet. Aber auch wenn Whip zunächst als Held gefeiert wird, zeigen die Blutuntersuchungen deutlich erhöhte Alkohol- und Drogenwerte an. Dafür könnte er nicht nur seinen Job verlieren, sondern auch für einige Jahre hinter Gitter gehen. Auf überraschend organische Weise läßt Robert Zemeckis in »Flight« die Grenzen zwischen Action-Drama, Justizkrimi und dem genau gezeichneten Porträt eines Süchtigen ineinander fließen. Der Flugzeugabsturz zu Beginn ist derart glaubhaft orchestriert, daß selbst erfahrene Flugmeilensammler dem nächsten Check-in angstvoll entgegenblicken werden.
Aber nach dem Absturz gleitet der Film in einen ruhigeren Erzählmo-dus, der sich nicht auf den Kampf gegen äußere Widrigkeiten, sondern gegen die inneren Dämonen des Protagonisten konzentriert. Anders als etwa in »Leaving Las Vegas« wird der Alkoholismus hier nicht aus der larmoyanten Mitleidsperspektive betrachtet. Washington legt seine Figur nicht als Sympathieträger an, sondern zeigt die Arroganz und Selbstüberschätzung des begnadeten Piloten, der es gewohnt ist, die Dinge im Griff zu haben, und sein Leben jahrzehntelang um die heimliche Sucht herum strukturiert hat.
»Sie müssen mir nicht erzählen, wie man lügt«, sagt Whip zu seinem Anwalt (hervorragend: Don Cheadle). Denn Ausflüchte, Lügen und Selbstbetrug sind die Essenz seiner Existenz als Verantwortungsträger mit Alkoholproblemen. Es ist ein langer Weg und erst nach einigen weiteren Abstürzen, kann Whip der eigenen Wahrheit ins Gesicht blicken. Von diesem hart erkämpften Prozess der Erkenntnis erzählt »Flight« ebenso glaubhaft wie unterhaltsam mit einem hervorragenden Denzel Washington im Fokus, der hinter der Selbstgefälligkeit seiner Figur immer auch eine feine Melancholie durchscheinen läßt.
Martin Schwickert
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Das ist eine der bestgeschriebensten Film-Rezensionen, die ich seit langem gelesen habe. Danke für diese informatiove Einladung ins Kino 😉