Frankfurter Kusntverein und das Senckenberg Naturmuseum zeigen »Trees of Life«

Was für ein winziges Fitzelchen Raum nimmt der Mensch im Riesenradius des »Plot«, des evolutionären Lebensbaums von David Mark Hillis ein. Auf dem Boden im Foyer des Frankfurter Kunstvereins findet sich das der genetischen Ordnung folgende kreisrunde Modell des Biologen: ein 2006 erstellter und noch längst nicht kompletter Gegenentwurf zum anthropozentrischen »Stammbaum des Menschen« Ernst Haeckels von 1874. So kommt es, dass dem hier berichtenden Besucher gleich beim Betreten der Ausstellung »Trees of Life – Erzählungen für einen beschädigten Planeten« im FKV-Domizil Steinernes Haus das Lied des Kabarettisten Hans Scheibner in den Sinn kommt: »Das macht doch nichts, das merkt ja keiner«, sagt da im letzten Vers der Liebe Gott zu den Engeln, die ihm gerade vom Untergang der Erde berichten. Verschwindend nimmt sich die Menschenzeit (ca. 300.000 Jahre) auch im Verhältnis zu dem Gesteinsmethusalem aus dem Senckenberg-Museum aus. Der aus Nevada kommende verkieselte Stamm eines Nadelbaums ist 225 Millionen Jahre alt und übertrifft in seinen Farben das kürzlich noch vis-à-vis in der Schirn gefeierte »Pour Painting« von John Armleder um Längen. Einfach schön. Und anfassen darf man ihn auch.
Die in Kooperation mit dem Senckenberg Naturmuseum entstandene Ausstellung ist als ein Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft über das Verhältnis von Mensch und Natur konzipiert. Dazu werden vier zeitgenössischen künstlerischen Positionen passende Exponate aus Sammlung und Forschung des Frankfurter Museums zugesellt. Im ersten Stock etwa haben die Wissenschaftler 42 um 1880 erstellte Schaukästen mit präparierten Käfern aufgestellt, die neben der Vielfalt der krabbelnden Fauna zugleich unseren herrschaftlichen Umgang mit ihr demonstrieren. Die Tiere wurden gefangen, getötet, fein säuberlich in eine Ordnung gebracht und dann auf Nadeln gesteckt. Staunend stellt man sich heute indes die Frage, wie viele dieser Arten es wohl noch gibt. Die künstlerische Antwort darauf gibt der österreichische Filmemacher und bildende Künstler Edgar Honetschläger mit seinem Projekt »Go Bugs Go«. Vormals in Tokyo lebend, stellte für ihn die Fukushima-Havarie die große Erweckung dar. Wozu Kunst, wozu Ästhetik, wenn rund um uns die Welt untergeht, hat sich der Künstler gefragt. Nun organisiert er Landkäufe, die einzig dazu dienen, die erworbenen Areale der Natur zu überlassen: »Go Bugs Go!« Sein Ziel ist es, durch massenhafte Beteiligung politisches Gewicht zu gewinnen, was ja auch eine Form von Aktionskunst ist.
Honetschlägers Landsfrau Sonja Bäumel geht den Grenzen des Menschseins im Selbstversuch nach, indem sie das Eigenleben der Mikroorganismen, die unsere Haut produziert, sichtbar macht. In einer aus Algen gewonnenen Substanz bilden sich schon einen Tag, nachdem die Künstlerin sich unbekleidet in diese Flüssigkeit gelegt hat, wachsende Konturen ihres Körpers nach – völlig unabhängig von ihrer Gegenwart und doch ihr zugehörig. »Expanded Self« nennt Bäumel diese spektakuläre Demonstration des Über-sich-Hinauswachsens und Aus-der-Haut-Fahrens. Man könnte auch Stepanovics »Lebbe geht weiter« zitieren.
Simple oder auch nicht ganz so simple Gegenstände wie ein I-Phone, einen Kugelschreiber, ein Kabel oder eine Kalaschnikow hat das niederländische Künstlerkollektiv Studio Drift nicht allein in ihre jeweiligen Bestandteile, sondern in die Materien zerlegt, aus denen sie entstanden sind, und diese dann unidentifizierbar in Blöcke geformt. Nicht genug, dass man sich in dieser hier nur angerissenen Schau ziemlich klein und nichtig vorkommt im Lichte des Weltenganzen. Man fühlt sich auch ziemlich unwissend, um ein anderes Wort zu vermeiden. Macht aber nichts, so lange es keiner merkt.

Lorenz Gatt (Foto: © Edgar Honetschlaeger/Go-Bugs-Go)
Bis 19. Januar 2020: Di.–So., 11–19 Uhr; Do. 11–21 Uhr
www.fkv.de

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