Zwei Bücher: einmal leicht, einmal schwer
Klassisch österreichischer Schmäh, Literaturkunde von der angenehm plauderhaften Seite, mit Ironie gewürzt, das kann Martin Thomas Pesl. Von 2008 bis 2015 stellte er in jeder Ausgabe des Magazins »Wiener« einen Klassiker der Weltliteratur vor. Daraus entwickelte sich die Idee, auch den Schurken einen Raum zu geben. So entstand dieses Buch. »Die 100 genialsten Schurken der Weltliteratur« verspricht der Untertitel. Pesls Definition von Schurke umfasst »auch Schurkinnen, Bösewichte, Unsympathen, Antagonistinnen, Fieslinge, Gauner, Egomanen, üble Hunde und sonstige widrige Mächte«. Zwölf Kategorien macht er für sie aus: die Gierigen, die Rachsüchtigen, die Despoten, die Berserker, die Egoschweine, die Erziehungsberechtigten, die fatalen Frauen, die Psychopathen, die Ungreifbaren, die verrückten Wissenschaftler, die Über- und Unterirdischen und die Könige des Verbrechens. Die Auswahl dabei ist manchmal eine Überraschung und manchmal ganz schön schurkisch.
Die lexikalisch anmutenden, leichtfüßigen Einträge sind je als Doppelseite angelegt. Name des Bösewichts/Autor/Titel/Erstes Auftrittsjahr. Dann eine der kongenialen Illustrationen von Kristof Kepler und ein größeres Zitat, das den Bösewicht/die Bösewichtin charakterisiert, danach die kenntnisreiche Vorstellung, die in Werk und Wirkung steigt. Sechs bis neun Kurzkategorien runden den jeweiligen Steckbrief ab. Bei Jorge von Burgos, dem Bösewicht aus Umberto Ecos »Der Name der Rose«, sind das u.a. »Funktion: Brandstifter, Hüter des Ernsts«, für Humor sagt das Rating: kein Stern. Bei Fantomas beschreibt Pesl auch die Produktionsgeschichte: Mit 32 jeweils etwa 400 Seiten dicken Romanen innerhalb von zwei Jahren, allesamt eifrigen Stenotypistinnen diktiert, begründeten Marcell Allain und Pierre Souvestre 1911 und 1912 den Ruf des genialen und grausamen Meisterverbrechers, dem Pesl den Weltherrschaftsfaktor 4 gibt. Kafkas Schloss – jawohl ebenfalls ein Bösewicht, und zwar im Kapitel »Die Ungreifbaren« – hat als Waffe die Unnahbarkeit, die Haupteigenschaft »kafkaesk«, als Erzfeind den Landvermesser K. und als Output Beamte. Zu den Ungreifbaren zählt Pesl auch die Windmühlen in »Don Quijote«, den Raben von Edgar Allan Poe oder Sauron in J.R.R. Tolkiens »Herr der Ringe«.
Das Buch sei kein Lexikon, gibt der Autor im Vorwort Entwarnung. Stimmt. Man muss es nicht von vorne bis hinten lesen, man darf auch einfach blind Seiten aufschlagen, sich festlesen und auf amüsante Art hinzulernen. Oder es jemandem als Geschenk mitbringen. Das Böse hat seinen Reiz. Dieses Buch auch.
Mit Schurken zu scherzen ist nicht jedermanns und jederfraus Ding, deshalb als andere Hälfte der Münze ein durch und durch ernsthaftes Buch. »Gesichter des Bösen« heißt das Lexikon, das in 168 Porträts die üblen Taten von König Leopold II., Pinochet, Stalin, Hitler, Himmler, Hindenburg, Eichmann, Osama bin Laden, Slobodan Milosevic, Robert Mugabe, US-Präsident McKinley, Mohammed Atta und vielen anderen erfasst. Reale Könige, Präsidenten, Waffenschieber, Drogendealer, Terroristen, Soldaten, Kriegsverbrecher, Diktatoren und Politiker bevölkern dieses Kompendium. Und es ist gut, dass an solche Gestalten wie etwa den preußischen Infanteriegeneral Adrian Dietrich Lothar von Trotha (1848-1920), erinnert wird. Er war einer der schlimmsten Vor-Ort-Finger der deutschen Kolonialzeit. Als Kommandant der Kaiserlichen Schutztruppe und Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) ließ er den Herero-Aufstand besonders brutal und mit extremer Härte niederschlagen. Die Herero hatten die Frechheit, sich gegen die deutsche Kolonialherrschaft zu erheben, die ihnen Ressourcen, Würde, Kultur und Freiheit nahm. Nach der Niederlage in der Schlacht am Waterberg wurden die Herero von ihren Wasserstellen vertrieben und in Konzentrationslagern interniert. Nur jeder zweite Insasse überlebte, rund 50 000 Herero kamen ums Leben.
Bis heute – und erst recht unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan – ist der Völkermord an den Armeniern in der Türkei ein Tabu. Seine Erwähnung gilt als »Beleidigung des Türkentums« und wird bis heute verfolgt. Das Lexikon benennt als das für den Genozid verantwortliche Triumvirat Mehmet Talat »Pascha«, Ismail Enver »Pascha« und Ahmet Cemal. Sie waren im Osmanischen Reich für die systematische Ausrottung der armenischen Minderheit und für den Tod von bis zu 1,5 Millionen Menschen federführend verantwortlich.
Kants berühmtes Verdikt aus der Schrift »Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« (1793) – »Der Satz: Der Mensch ist böse, kann nichts anderes sagen wollen, als: er ist sich des moralischen Gesetzes bewusst und hat doch die (gelegenheitliche) Abweichung von demselben in seine Maxime aufgenommen« – bedeutet im Klartext: Die bewusste Entscheidung für moralisch verwerfliches Handeln kennzeichnet das Böse.