Backe, backe Kuchen auf dem Vulkan
Hessisches Staatstheater Wiesbaden: Die Physiker
Sterben tut weh und ist gar nicht so einfach, selbst wenn es gewaltsam geschieht, etwa durch Strangulieren mit dem Stehlampenkabel. Das ist eine, aber gewiss nicht die ganze Botschaft des langsamen Bühnentodes der Krankenschwester Monika Stettler, die sich endlos würgend wiegend und zuckend, aber vergeblich dem eisernen Griff ihres Lovers und Patienten Johann Wilhelm Möbius zu entziehen sucht.
Die extrem unappetitlich aufbereitete Szene in der Wiesbadener Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts »Die Physiker« könnte auch bildlich für das im Hals steckenbleibende Lachen stehen, das man gemeinhin mit dieser schwarzen Satire aus einer Zeit verbindet, als der Kalte Krieg auf Kuba in einen brandheißen atomaren zu kippen schien. In ihren Kernpassagen diskutiert sie die Verantwortung des Wissenschaftlers und das Problem, dass erworbenes Wissen nicht wieder zurückgenommen werden kann. Dürrenmatts Protagonist, der sich in einer Klinik als Irrer tarnende Physiker Möbius, will die Menschheit so vor dem Garaus bewahren, das ihr nach seiner Entdeckung der »Weltformel« droht, und nimmt dafür sogar einen Mord in Kauf.
In den vergangenen 50 Jahren sind die Gefahren der globalen Selbstvernichtung keineswegs kleiner, wohl aber geläufiger geworden, weil sich die Beiträge der Wissenschaft dazu längst nicht mehr auf die Ausstattung von Waffenarsenalen beschränken. Die auf den einzelnen Forscher zielende ethische Diskussion des Stücks wirkt heute allerdings derart moralisch und fern, dass es nicht wundert, wenn Regisseure sich bevorzugt der Groteske zuwenden. In Frankfurt, wo das Stück nun schon seit zwei Jahren zum Repertoire gehört, hat Regisseur Markus Bothe sich so auf die verkehrte Welt des Sanatoriums konzentriert, dass ihm der Bezug zur richtigen gänzlich beliebig geriet. In Wiesbaden bettet Hans-Ulrich Becker die Komödie in einen Kosmos aus nostalgischen Filmzitaten ein, der von Inspektor Columbo über »Dinner for One« bis zu Frankenstein – oder war‘s Klaus Kinski? – reicht. Am Schluss werden die Wissenschaftler in einer Spielgrube zu Kindsköpfen erklärt und mit bunten Bällen zugeschüttet. Back to the Sixties und »Backe, backe Kuchen« auf dem Vulkan.
Möbius-Darsteller Achim Buch, ein Ex-Frankfurter vom Schauspiel Hamburg, und – wie eigentlich immer – Benjamin Krämer-Jenster als Kommissar Voß sind die Zugpferde eines temporeichen, doch eben nicht ungebrochenen Gute-Laune-Stücks, das wenig Unterhaltungswünsche und nur die Frage offen lässt, weshalb man es so auf dem Spielplan hat. Die nukleare Katastrophe von Fukushima hat den Klassiker zurück auf die Stundenpläne der Schulen und die Spielpläne der Theater gebracht, denen er volle Häuser beschert. Wie in Frankfurt, wo die Vorstellungen schon vor der Premiere auf lange Sicht ausgebucht waren, gibt es auch in Wiesbaden erst mal nur Restkarten an der Abendkasse.