Der Titel ist sperrig, kraftvoll und dann auch wieder sehr offen – und die Ausstellung ist es auch. Von einer monothematischen Eingrenzung weit entfernt, dreht sich hier alles um Kommunikation, in welche Richtungen und von wem mit wem auch immer. Die Interakteure können vielfältig sein, manchmal ist es schlicht und einfach eine Farbe, die mit einer anderen in Dialog tritt, manchmal eine konkrete Person, manchmal ganz einfach eine Absicht, die man mitteilen möchte. Andere Formen sind wesentlich rätselhafter und komplexer. Das weitet den Raum – auch – für eine Verspieltheit, die man angesichts des Themas gar nicht vermuten würde.
Die Video- und Soundinstallation »Speicher« (2008) von Michaela Melián, die in die Ausstellung einführt, dauert stolze 52 Minuten. Es ist in der Tat so, dass man am besten eine Weile zuschaut und zuhört, um der Komplexität dieser Inszenierung nahezukommen. Ein Film, auf dem es meistens dunkel ist, sphärische Klänge, eingesprochene Texte, tagebuchhafte Satzfragmente, dann wieder Gedichtzeilen, Wissenschaftliches zum Thema Zugvögel. Der Film zeigt eine Autofahrt komplett im Dunkeln, nur einzelne Schneeflocken wehen vorbei, daraus schälen sich kaum zu erahnende Straßenschilder, man lauscht den Angaben des Navis. Muster auf schwarzem Grund, die wie gestickte Linien aussehen, helle Nähte. Der Zugvogel-Text verbindet sich stark mit Assoziationen zu Flüchtlingen. Man könnte assoziieren, dass hier eine Migrantenroute simuliert werden soll, ein Weg, der so oft ins Dunkel führt. Die Musik stammt vom Pionier für elektronische Musik Josef Anton Riedl, die er 1965 für eine Videoinstallation von Alexander Kluge und Edgar Reitz aufgenommen hatte. Dies alles muss man gar nicht wissen, man kann sich ganz der Sinnlichkeit dieses Werks hingeben.
Ähnlich sinnlich ist eine Arbeit von Rosa Barba: hier kommunizieren zehn auf einem Brett montierte Metallspulen miteinander, über die sich ein auf Zelluloidband eingeschriebenes Gedicht von Charles Olson im Rhythmus der Spulen bewegt. Völlig zufällig ist es, wie sich die Spulen zueinander verhalten, wie das Band läuft, auf die nächste sich drehende Spule fällt, sich zusammenschiebt und immer wieder neue Muster und damit auch sprachliche Zusammenhänge bildet. (»Eyes on the Syllabus«, 2024).
Sehr locker zusammengefasst sind die Exponate unter den Stichworten: »Wahrnehmung und Sprache«, »Mensch und Computer«, »Selbstorganisierte Systeme« und »Soziale Systeme«. Jochen Gerz versteht darunter beispielsweise sein »Berkeley Oracle«, das in den Jahren von 1997 bis 1999 entstand. Ein riesiges Foto des Orakels von Delphi dient als bildlicher Hintergrund einer Befragung unter Internetnutzern, die Studentenproteste in Berkeley im Jahr 1968 sind hier ihr politisch- gesellschaftlicher Ausgangspunkt. Welche Fragen haben sie noch nie gestellt? »Werden Seelen nachts zu Engeln?«, findet man da oder »Warum wieder Krieg mit deutschen Soldaten?« »Wird unsere Familie überleben?« und »Why is my mother like this?« Diese Fragen sind auf das Foto des Orakels projiziert und bilden so – die Intention des Künstlers – eine Art kollektives Archiv.
Wie können Eidotter zum Blickfang einer Ausstellung werden? Ganz einfach, indem man sie wie es Mehreen Murtaza getan hat, die sie auf einem dunklen Hintergrund platziert und die Schnittflächen mit den unterschiedlichsten Symboliken »beschriftet« hat, so dass sie wirken wie Schmuckstücke. Das »Neuro Yolk« aus dem Jahr 2011 will aber auf etwas Anderes aufmerksam machen, nämlich auf die Manipulierbarkeit dieser Eidotter, auf die Wirkung von verarbeiteten Lebensmitteln auf die menschliche Psyche.
Einen genauen Blick fordern die Arbeiten von Antoni Muntadas, der hier mit seiner Serie »Architektur Räume Gesten« von 1988/91 vertreten ist. Der Betrachter bekommt genau dies, Architektur, Räume, Gesten, doch die bloße Zusammenstellung enthüllt Machtstrukturen.
Diese Ausstellung fertigt kein strukturelles Koordinatensystem, sondern ist eine Einladung, die eigenen Sinne ständig neu zu fordern. Sie lässt es durchaus zu, von Objekt zu Objekt zu streifen, ohne dass man einen Kontext daraus zwingend erlesen müsste. Der ergibt sich ganz einfach durch die eigene Wahrnehmung. Spannend.
»Kybernetik. Vernetzte Systeme« – eine Ausstellung der Kunststiftung DZ Bank
