Tragisch, sinnlos, unfassbar, das waren die meistgebrauchten Begriffe der letzten Wochen angesichts des Todes der jungen Studentin Tugce. Ja, er war tragisch, weil der Täter zwar zugeschlagen hatte, aber wohl nicht mit Tötungsabsicht. Ja, er war sinnlos, weil es allemal schwer ist, einen Sinn im Tod einer so jungen Frau zu sehen, insbesondere wenn er gewaltsam herbeigeführt wurde. Ja, er ist unfassbar, weil man sich kaum in das Macho-Hirn des jungen Täters hineindenken kann, der, in seiner Ehre gekränkt, mal schnell die Faust losschickt. Wahrscheinlich nicht, um zu töten, aber bar jeder Hemmung. Und doch schleicht sich bei aller Tragik, Sinnlosigkeit und Unfassbarkeit ein schales Gefühl in den Kopf. Was ist es, das diesen Hype, diesen Irrsinns-Medienrummel ausgelöst hat, der die Trauer und die Wut von Angehörigen und Freunden zum Ziel eines Spektakels werden ließ? Da überschlugen sich die Politiker in der Forderung nach diversen Ehrungen, Preisen und Verdienstmedaillen. Es gab in den letzten Jahren immer wieder Berichte über Menschen, die Opfer ihrer Zivilcourage wurden, die getötet oder schwer verletzt wurden, weil sie anderen helfen wollten. Die öffentliche Empörung in diesen Fällen blieb aber weit hinter der über Tugces Tod zurück, obwohl die Brutalität der jeweiligen Täter nicht minder groß wenn nicht gar weit größer war. Liegt es an der besonderen Opfer-Täter Konstellation, wie sie der SPIEGEL sieht? Hier die erfolgreiche Integrationssiegerin, hübsch und lebenslustig, dort der fast typische Integrationsverlierer, der nach Schul- und Ausbildungsabbruch dem Klischee der BMW-fahrenden Immigrationshintergründler so wunderbar entsprach? Und diesen Macho-Buben, die uns schon lange mit ihren aus dem Auto dröhnenden Stereoanlagen, dem gepflegten Immi-Slang und überhaupt auf die Nerven gehen, tritt nun ausgerechnet eine Frau entgegen, auch aus einer Einwandererfamilie, aber ohne Slang und BMW, sondern eine, bei er die Integration, wie wir sie uns immer gerne wünschen, geklappt hat.
Was also ist es in der öffentlichen Wahrnehmung und Empörung, das Frankfurter Christdemokraten dazu veranlasste, über einen nach Tugce benannten Zivilcouragenpreis zu sinnieren, obwohl ihre Verbindung zu Frankfurt sich wahrhaft nicht aufdrängt? Ein früherer Versuch, einen solchen Namenspreis für einen Frankfurter zu etablieren, der bei einem Streitschlichtungsversuch das Leben lassen musste, fiel bei eben jenen Christdemokraten nicht auf fruchtbaren Boden. Lag es daran, dass Emeka Okoronkwo ein Mann war, schwarzer Hautfarbe zudem und Deutsch-Nigerianer? Auch er wollte zwei von Männern angepöbelten Frauen helfen und bezahlte dies mit einem Messerstich ins Herz. Aber hatte er nicht auch ein bisschen Mitschuld? Schließlich war das im Bahnhofsviertel und er hätte ja auch die Polizei rufen können. Nichts von Hype, nichts von öffentlicher Wut und Trauer und Empörung in diesem aktuellen Ausmaß. Nicht, dass ich missverstanden werde: ich will hier nicht gegeneinander stellen, sondern ich möchte gerne nebeneinander stellen. Den wohlsituierten 50jährigen Manager Dominik Brunner, der in München Opfer wurde, die hoffnungsfrohe 21-jährige Lehramtsstudentin Tugce Albayrak und den ebenfalls 21-jährigen angehenden Restaurantfachmann Emeka Okoronkwo.
Kurz nach Tugces Tod wurde in Hannover ein junger Mann erschossen, der einer Supermarktkassiererin zur Hilfe eilte, als sie von einem Räuber überfallen wurde. Das Video mit dem korpulenten Räuber machte die TV-Runde, sich aber einfach jemandem, der eine Waffe in der Hand hat, zu nähern, wäre denn doch, so ein Teil der veröffentlichten Meinung, auch sehr unvorsichtig gewesen. Den Angehörigen des namenlosen Opfers sprach der Supermarktgeschäftsführer sein Beileid aus.