Und weil sie nicht gestorben sind
»Only Lovers Left Alive« von Jim Jarmusch
Nun hat auch Independentfilmer Jim Jarmusch Blut geleckt und Vampire entdeckt. Mit den »Twilight«-Spezis teilen seine lichtscheuen Wesen jedoch lediglich die Kontrolle über ihre barbarischen Instinkte. Denn Adam & Eva nähren sich, meistens, von Blutkonserven, die sie andächtig wie einen Burgunder genießen – oder gierig wie ein Junkie eine Spritze.
Mit der Ruhelosigkeit eines Raubtiers streift eine Blondine (Tilda Swinton) durch die verwinkelte Kasbah von Tanger. Es ist Nacht, und Eva ist auf der Suche nach ihrem Dealer. Evas langjähriger Gefährte Adam (Tom Hiddleston), ein depressiver Rockmusiker, haust tausende Kilometer entfernt in Detroit in einem herunterkommenen Altbau und verbringt die Nächte mit Komponieren. Eva besucht ihn, um seinen Weltschmerz zu lindern. Doch dann kommt ihre wilde, junge Schwester Ava (Mia Wasikowska) zu Besuch. Die Männerfresserin bringt das Paar in Gefahr und zwingt es zur Flucht …
Vampire eignen sich für allerlei Metaphern, doch Jarmuschs Interpretation des vampirischen Way of Life als Gipfel einer Bohème-Existenz hat etwas für sich. Mit seinen unsterblichen Dandys, die tagsüber schlafen und nachts kreativ sind, setzt der Sechzigjährige auch dem eigenen künstlerischen Außenseiterdasein ein Denkmal. Die schwarzromantische Atmosphäre dieses Vampir-Updates erinnert teils an seinen Western »Dead Man«, teils an den Klassiker »Vampyr« von Carl Theodor Dreyer.
Doch nur jemand wie Jarmusch kann auf die Idee kommen, die verfallende Pracht der bankrotten Industriestadt Detroit, die sich zum Künstlermekka entwickelt, mit dem morbiden Flair des einst legendären Künstlermekkas Tanger kurzzuschließen. In Tanger, in den Fünfzigern ein Refugium nonkonformistischer Literaten, haust aber nur noch ein greiser Bühnendichter aus uralten Zeiten, Shakespeare-Konkurrent Christopher Marlowe (John Hurt). Er ist Teil eines kultivierten Vampir-Undergrounds, der, so erinnern sich die drei in einem melancholischen Namedropping von der Antike bis heute, einst Philosophen und Musiker inspiriert hat. Überhaupt, Menschen: für diese Vampir-Avantgarde ist deren Blut zunehmend kontaminiert – und gefährdet dadurch den Fortbestand der Vampire.
So hat halt jeder seine Probleme. Wer kein Jarmusch-Fan ist, könnte sich angesichts des blasierten ›ennui‹ dieser untoten Hipster fast zu Tode langweilen. Für die minimalistische Handlung entschädigen aber Jarmusch-Muse Tilda Swinton, die, halb Freak, halb Diva, als Vampirlady ganz bei sich ist; und Tom Hiddleston, der schon als trickreicher Loki dem hammerschwingenden Thor die Show stahl. Als langhaariger Rockveteran, dem von Schubert bis Eddie Cochrane keine Melodie fremd ist, wird er zu Jarmuschs ›alter ego‹. Denn das wichtigste Lebenselixier in dieser lakonischen Vampirromanze ist, wie so oft bei Jarmusch, die Musik. Nachdem in »Broken Flowers« z.B. der äthiopische Jazzer Mulato Astatke ein Comeback erfuhr, ist nun der niederländischen Jazzer und Lautenspieler Jozef van Wissem zu hören – und auch Jarmuschs eigene Combo Sqürl. Diese Vampire haben jedenfalls einen exquisiten Geschmack.