In der internationalen Kunstwelt hätte Susanne Pfeffers Debüt als Direktorin des MMK Frankfurt kaum spektakulärer ausfallen können. Erstmals seit 22 Jahren zeigt ein Museum wieder Werke der US-amerikanischen Installationskünstlerin Cady Noland. Mitte der 90er hatten deren brachiale künstlerische Demontagen des American Dream sie an die Spitze des Kunstmarktes katapultiert – ein Widerspruch, den sie radikal mit der Abwendung vom Kunstbetrieb beantwortete. Entsprechend hoch sind die Wellen, die ihre Rückkehr fern der USA nun schlägt. Man hört viel Englisch unter den Besuchern des MMK.
Das erste Exponat der Überblicksausstellung, die nur mit ihrem Namen titelt, bemerken viele erst bei der Rückkehr ins Foyer des Hauses. Dann also, wenn die Sinne sensibilisiert sind für Nolands Werk, fällt auch das wie vergessen wirkende Gestell am Treppenaufgang auf, das sich als Gehhilfe entpuppt. »Untitled (Walker)«, 1989 entstanden, birgt einen kleinen Korb, eine Kleiderstange und eine aufgerollte US-Flagge. Dass die Nutzer solcher Geräte nicht eben zu den Protagonisten des American Way of Life gehören und hier etwas über Teilhabe und Ausschluss ausgesagt wird, liegt nun auf der Hand.
Das Stars and Stripes-Banner ist das meistverwendete Objekt des sämtliche Ausstellungsräume des Hauses erfassenden Parcours, der gesellschaftliche Gewalt auf allen Ebenen thematisiert: physisch, psychisch, institutionell und auch strukturell. Es ist nicht verkehrt zu wissen, dass die Tochter des Farbfeldmalers Kenneth Noland Soziologie studierte. In ihrem Aufsatz »Die Metasprache des Bösen« von 1987 attestiert sie ihrem Heimatland eine psychopathologische Identität. Ein Befund, der in den Postulaten des »Make America Great Again« nachgerade dramatisch Aktualität beanspruchen kann
Gewaltig in jedem Sinne geht es auch los. Beim Aufstieg in den ersten Raum bannt ein Portal im Format eines großen Fußballtores den Blick. Massiv und kantig, in glänzendes Aluminium furniert sind seine hölzernen Pfosten und der Querbalken, von dem herab drei Autoreifen an eisernen Ketten baumeln. Wer da an Kinderschaukeln und Spielplatz denkt, wird spätestens beim Titel – »Publyck Sculpture« – stutzig. Das Ypsilon rückt das raumbeherrschende Gebilde in den Kontext der Lynchmorde und dessen, was als »Necklacing« in die Gewaltgeschichte einging: das Verbrennen von Opfern in benzingetränkten Autoreifen.
Im großen Nachbarraum im Parterre steht als zweite monumentale Skulptur der Künstlerin ein metallicsilberner Pranger, der fabrikneu aussieht und mit exakt bemessenen Öffnungen, einer Justierkurbel und rückseitiger Sitzbank sich für die öffentliche Demütigung von bis zu fünf Personen eignet. »Tower of Terror« hat Noland die 1993/94 entstandene Arbeit genannt. Im Lichte der zugespitzten Praxis der öffentlichen Ächtung wirkt die Wahl des archaischen Instruments visionär.
Macht und Ohnmacht manifestieren sich für Noland in der Symbolik der Dinge, wie sie schon die Gehhilfe andeutet, aber sich auch in Schildern, Zäunen, spanischen Reitern und natürlich der »Brick Wall« ausdrückt. Einkaufswagen, Körbe und Stangen sind mit scheinbar willkürlich gewählten Materialien bestückt: die Fensterkurbel ordnen wir einer Limousine zu, den Paradestab einer Cheerleaderin, das Suspensorium dem American Football, das Zaumzeug dem Wilden Westen. Identitätsstiftende Symbole der USA.
Ein drittes wiederkehrendes Format sind großformatige Siebdrucke von bekannt gewordenen Pressebildern auf Metall. Patty Hearst ist zu sehen, Mansons Baracke. Und »Oozwald«, das von Schusslöchern durchsiebte Portrait des seinen Mörder fixierenden Kennedy-Attentäters. Weit davon entfernt, ein Best-of oder nostalgischer Rückblick auf die wilden 80er zu sein, ist »Cady Noland« auch ohne Spur von Digitalität aktueller als uns lieb sein kann.