Staatstheater Darmstadt: Vor einer gewaltigen Kulisse inszeniert Christoph Mehler Ibsens »Peer Gynt«

In zwei mächtigen Blöcken wird im Darmstädter Staatstheater die Peer-Gynt-Saga von Henryk Ibsen gereicht. Nach dem ersten, der Peers Aufbruch bis zu seiner Flucht vor den Trollen zeigt, verlässt man hoch angetan den Platz. Mitreißend, wie Christoph Mehler da das »dramatische Gedicht« inszeniert, dem man gerne den Ausrutscher im glitschig Fäkalen als drollige Troll-Nummer verzeiht. Mit einem souveränen, charismatischen Darsteller im Zentrum, Daniel Scholz, bestens bedient von den Kollegen Gabriele Drechsel (Ase), Katharina Hintzen (Ingrid), Judith Niederkofler (Solveig) und Jörg Zirnstein in allen Erscheinungsformen (Der große Krumme, später: der Knopfgießer) des immer präsentem Todes. Überwältigend ist das Bühnenbild von Jennifer Hörr. Bis zum Boden reichende wallende weiße Plastikplanen im Halbrund lassen die Gletscher des Nordens imaginieren – wie später die flirrende Wüste, das kahle Kalt der Anstaltswände, die weißen Segel und das schäumende Meer.
Auf die Pause aber folgen die Sause und der Großeinsatz der 20-köpfigen Statisterie des so genannten Bürger*innen-Chores des Hauses. Dann schmeißt der mit Dickstoffen aufgeblähte Peer als reicher Reeder rauschende Feste, landet im fließenden Übergang erst in Puffs, dann in der Klapse und letztendlich schiffbrüchig auf der Nase. Ein Horrortrip mit Timothy Leary als Reiseführer, ein tosendes Tohuwabohu, das sich bis in den Zuschauerraum erstreckt, in Fangesängen gipfelt und einfach nicht aufhören will. Ist ja alles nur geträumt und ganz schön bunt, aber doch schon bald enervierend. Braucht es diesen Trip für Peer, um grau und in später Demut die Mutter zu bestatten, die »Zwiebel der Selbsterkenntnis«, so das »Echo«, zu häuten und die rettende Solveig in die Arme zu schließen? So ausgelaugt wie die da oben, sind wir da unten am Ende auch.
Er habe diese Figur als jemand erfahren, der ihm auf der Suche nach sich selbst zum Freund geworden sei, unterstreicht Mehler in der Monatszeitung des Hauses die Zeitverwandtschaft mit dem eingebildeten Selbstverwirklicher. Daniel Scholz spricht immer auch das Publikum an, lässt es teilhaben, wenn er die Bitten der Mutter überhört und sich ungelenk in Solveig verliebt, lässt es einverstanden sein, wenn er noch in derselben Nacht die Hochzeitsbraut Ingrid vernascht und gleich wieder sitzen lässt. Scholz gibt den narzisstischen Solitär, der keinen dulden kann neben sich, aber alle braucht, von den ihm in um die 50 Rollen zuspielenden Komparsen und Kollegen bis hin zum lauschenden Publikum. Was niemandes Leistung schmälert. Schon gar nicht die von Jörg Zirnsteins Knopfgießer im sicheren mephistophelischen Wissen um die Macht der Kelle.
Nach der Mörderstufen-Wildente, dem Sado-Caligula und der im Dauerregen untergehenden Korsettverkäuferin in »Glaube Liebe Hoffnung« ist die vierte Arbeit des in Darmstadt zum »Generalregisseur« beförderten Theatermachers trotz überbordender Opulenz von einer ziemlichen Solidität. Und freiwillig selbstkontrolliert ab 14 Jahren ist sie auch.

gt (Foto: © Isabel Winarsch)
Termine: 15., 23. März, jeweils 19.30 Uhr
www.staatstheater-darmstadt.de

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