Akribische Weltvermessung
Ekrem Yalcindag und Pia Linz haben so manches gemein, doch nichts, was ihre Werke inhaltlich verbände. Sie sind gleich alt, Jahrgang 1964, haben beide an der Städelschule in Frankfurt studiert. Bei ihrer Vorstellung in Rüsselsheim kam noch heraus, dass für beide das Straßenbahn-Fahren in der Mainmetropole von künstlerischem Belang gewesen ist. Immer, wenn ihm die Farbideen ausgegangenen seien, habe er sich in die Tram gesetzt, um dann bunt aufgetankt zurückzukehren, berichtet Yalcindag. Linz dagegen hat in der Bahn Plätze, Orte, Straßen auf sich wirken lassen. In Rüsselsheim teilen sich die beiden – bildlich natürlich – das Dach überm Kopf.
Die aus Kronberg stammende Pia Linz wird in den Opelvillen mit der bis in ihre Unizeit zurückreichenden Werkschau »Ort« gewürdigt. Mediale Aufmerksamkeit fand sie in den 90er-Jahren etwa mit ihren Haubenbildern: auf den Innenwänden von eckigen Acrylglaskästen festgehaltene Rundumpanoramen von ausgewählten Orten, die sie auf einer um ihren Kopf drapierten Installation im Sitzen fertigte. Während sich ihr Blickfeld bei der viele Tage währenden Anstrengung immer weiter reduzierte, verschwand sie selbst in der Außensicht der Passanten etwa des Frankfurter Hauptbahnhofs oder des einstigen Kaufhauses M. Schneider auf der Zeil. Das dritte der ausgestellten Haubenbilder entstand im Gallus-Viertel (»Brachland«) und lässt noch den AFE-Turm erkennen. In der Weiterentwicklung dieser Technik graviert die sich heute ganz auf das Zeichnen konzentrierende Künstlerin inzwischen ihre An- und Aussichten auf kubistische Glasgehäuse, in denen sie Platz nehmen kann. Drei davon stellt die nun in Berlin lebenden Hessin vor: das Forum Mülheim, den Alexanderplatz und den Hinterhof ihrer Wohnung in Neukölln.
Neben diesen »Projektionsarbeiten« bilden die »Ortsbezogenen Zeichnungsprojekte« den zweiten Strang der Werkschau. Darunter ist eine Art kartografische Erfassung von Orten zu verstehen, die ihre subjektive Raumerfahrung von unterschiedlichen Standpunkten mit dessen objektiver Beschaffenheit vermittelt. Linz entwickelt diese wandfüllende Methode im Jahr 2005 in London, wo sie ihr Wohnhaus samt Umgebung durch stetes Abschreiten vermaß. Später realisierte sie ähnlich akribisch ein Projekt im Central Park. Die fast wissenschaftliche und zugleich hochindividuelle Methodik der Wiedergabe des Ortes schließt aufgeschnappte Sprachfetzen, zufällige Beobachtungen und eigene Gedanken beim Entstehen der Arbeit ein. Die Ausstellung zeigt überdies anschaulich, dass eine frühe Arbeit über den Frankfurter Hauptbahnhof (Werkgruppe „Frühe Ortsbilder«) als Mutter der Linz‘chen Weltvermessung betrachtet werden kann.
Von Ekrem Yalcindag sind unter dem Titel »About Colour, Nature, Ornaments, and Other Things« Arbeiten aus den vergangenen fünf Jahren zu sehen, eine davon, ein drei Meter hohes Wandbild, hat er vor Ort für die Ausstellung gemalt. Der in Wien und Istanbul lebende Maler pendelt auch künstlerisch zwischen Morgen- und Abendland, indem er orientalische Ornamentik mit geometrischer Abstraktion verbindet. So zeigt eine Reihe monochromer Bildtafeln (50 x 70 cm) fortlaufend scheinende Muster von Blütenformen. Yalcindag hat seine Reihe relief-, aber auch puzzleartiger Farbdialoge völlig unromantisch nach der Kolorierung, etwa »Yellow-Green«, benannt, während seine mit geometrischen Formen spielenden Bilder auf Orte der Inspiration (»Schloss Balmoral«, »Villa Waaldberta« oder »Barock in Istanbul«) verweisen.
Wahre Hingucker sind die kunterbunt konzentrischen »Impressions of the Street«-Rundbilder Yalcindags, auf denen der Blick schnell ins Flirren gerät und drogenrauschartig den Halt zu verlieren droht. Die neue Arbeit »Der Baum« besteht aus einer drei Meter breiten und ein Meter hohen ornamentierten grünen Fläche über einer identisch großen in braun. Das ist so abstrakt wie plastisch und orientalisch.