Tod durch den Parkwächter[singlepic id=74 w=320 h=240 float=right]
Der neue Roman von Javier Marías: »Die sterblich Verliebten«
Der Titel ist, zugegeben, nicht das Gelbe vom Ei. Auch die Konstruktion gefällt mir nicht. Aber das Buch ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite, brillant geschrieben, mit richtig guten Charakteren und deshalb auch interessant. Wieder ein echter Marías. Ein bißchen Thriller, ein bißchen Philosophie, ernste Einsichten, beste Absichten.
Maria Dolz, Mitte dreißig, ein Single mit gelegentlichen Affären, arbeitet als Lektorin in einem Verlag. Auf dem Weg zum Büro frühstückt sie in einem Cafe. Fast jeden Morgen sieht sie dort ein Ehepaar, sie an die vierzig, er deutlich älter, fünfzig vielleicht. Die beiden haben es ihr angetan. Wie sie miteinander umgehen, das begeistert die Lektorin regelrecht, vertraut, verständnisvoll, und vor allem lachen sie miteinander. Immer wieder muß sie zu den Beiden hinschauen. Maria ist so fasziniert von dieser allmorgendlichen Idylle, daß der Leser schon nach wenigen Seiten anfängt, sich Sorgen um die Beiden zu machen. Kann das gut gehen? Sie waren »das kurze, bescheidene Schauspiel, das mir gute Laune machte, bevor ich in den Verlag ging, wo ich mich mit meinem größenwahnsinnigen Chef und seinen lästigen Autoren herumschlug«. Sicher kein Vergnügen.
Doch eines Morgens fehlen die Beiden. Sommerferien vielleicht. Sie blieben verschwunden, »das beunruhigte mich, weniger um ihretwillen, mehr um »meinetwillen, die ich nun meinen morgendlichen Antrieb« verloren hatte. Nach einigen Monaten erfährt Maria eher zufällig, daß der Mann, Miguel Devern, Besitzer eines Filmverleihs, damals auf offener Straße von einem Verrückten, einer Art Parkwächter, brutal erstochen worden war. Ein absurder, rätselhafter Tod. Nur wenig später kommt Maria erstmals mit der Witwe ins Gespräch. In der Wohnung von Lisa Alday trifft sie auch einen Freund der Familie, Javier Diaz, der sich um Frau und Kinder kümmert. Maria beginnt eine Affäre mit diesem attraktiven Mann. Er macht ihr aber klar: »daß wir füreinander nichts weiter sind als das: zeitweilige Gesellschaft, Unterhaltung und Sex, höchstens Kameradschaft und Zuneigung ohne Anspruch«. Er sei nämlich »in eine andere verliebt, die noch nicht so weit ist, mich wiederzulieben«. Hm, denkt da der aufmerksame Leser, der sich dann auch noch darüber wundern darf, daß der männliche Held Javier heißt und der Genetiv der Heldin aufschlußreich Marias lautet. Der Autor ist eben tatsächlich ein Konstrukteur, der aber nicht nur die Handlung geschickt, Zug um Zug, vorantreibt, sondern den Handlungsgang auch immer wieder durch Überlegungen zum Sterben, dem Tod, den Überlebenden und dem Leben überhaupt bremst, unterbricht, aber dabei keine Spannung herausnimmt, sondern sie eher noch steigert.
Während Maria bei der Witwe ihren späteren Liebhaber kennenlernt, gehen ihr seltsame Gedanken durch den Kopf. Der Ermordete selbst könnte doch seinen engsten Freund gebeten haben, sollte ihm einmal etwas zustoßen, sich um Frau und Kinder zu kümmern. Dieser Gedanke, erst einmal nur so eine Idee, wird sich bald als Leuchtrakete erweisen, die den Fortgang des Geschehens in ein grelles Licht taucht. Maria und Javier reden, wann immer sie sich sehen, über Luisa, die Witwe, den Tod und seine Folgen für die Lebenden. Maria macht sich zwar keine Illusionen über das Verhältnis, doch Hoffnungen macht sie sich schon. Eines Nachts belauscht sie ein Gespräch ihres Geliebten mit einem dubiosen Bekannten, mit dem er ein Geheimnis zu teilen scheint. Marias Argwohn erwacht und steigert sich bis zur Furcht vor ihrem Geliebten. Aber auch er belauert sie. Die beiden schaukeln sich in einer Art Gespinst von Verdächtigungen und Vermutungen wechselseitig immer weiter hoch, obwohl – und das ist ein grandioses Meisterstück – sich das Meiste davon nur in ihren Köpfen abspielt, in der Möglichkeitsform.
Am Ende sitzt Maria Dolz mit einigen ihrer Kollegen in einem Restaurant. Plötzlich sieht sie ihren Ex-Geliebten und die Witwe des Ermordeten wie ein trautes Pärchen an einem entfernten Tisch sitzen. Maria, unschlüssig, wie sie sich verhalten soll, überlegt. Dann steht sie auf, geht quer durch das ganze Lokal auf die Beiden zu, die sie plötzlich erkennen und …
Den Rest sollte man schon selber lesen. Es lohnt sich.
Sigrid Lüdke-Haertel
[singlepic id=73 w=160 h=120 float=left]Javier Marías: »Die sterblich Verliebten« (Los enamoramientos)
Roman, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2012, 432 S., 19,99 €
Javier Marías kommt am 21.03.2012 um 19:30 ins Literaturhaus
Moderation: Michi Strausfeld (Lektorin), Lesung deutscher Text: Anna Böger
www.literaturhaus-frankfurt.de