Sinclair-Haus in Bad Homburg zeigt »Darren Almond – Schatten und Licht«

Sentimentaler Weltenbummler

Es sind ja nicht nur die Menschen, die der Betrachter auf den Fotografien Darren Almonds vermisst, sondern es ist das Lebendige überhaupt. Und trotz des scheinbaren Fehlens von Leben geht es dem britischen Künstler, dessen Schaffen das Isaac-von-Sinclair-Haus in Bad Homburg mit der Ausstellung »Schatten und Licht« würdigt, um das Vergehen und  die Vergänglichkeit. Seine überwiegend bei Mondlicht mit zirka 15-minütiger Belichtungszeit gefassten Bilder bündeln die Zeit – für die Dauer eines Kusses, wie er einmal sagte, eines frühen wohlgemerkt. Es sind komprimierte Momentaufnahmen der Landschaft, auf denen die Wanderung der Sterne sich in zarten Himmelsfäden widerspiegelt und rollende Meereswellen sich in sanfte Nebel transformieren. 40 Großformate Almonds werden in der Kurstadt bis Juni gezeigt. Und ein dokumentarischer Film, der überraschend anders ist – dazu aber später.
Almond präsentiert sich in seiner Arbeit als ein zeitgenössischer Thomas Cook der Fotografie, der seine Sujets nicht selten auf den Spuren großer Meister weltweit sucht und findet. Und viel, viel Zeit dafür lässt und braucht, seine sentimental anmutenden Vorhaben zu realisieren Mitunter wartet er tage-, sprich nächtelang, mitunter halt auch vergeblich auf den passenden Langzeitmoment, den er braucht: auf das richtige Licht eines wolkenlosen Nachthimmels mit Vollmond in ungestörter Natur. Glückt das Unternehmen, dann spricht laut Almond der von ihm ausgesuchte Weltenort ganz für sich zu uns. Die Ergebnisse muten bisweilen wie Landschaftsgemälde der Romantik an – und sei es, wie solche der Schwarzen. Natürlich fällt jedem, der Almonds absichtsvolle Fotografie der Kreidefelsen auf Rügen im Mondscheinwerferlicht betrachtet, sofort Caspar David Friedrich ein. Ganz ohne Wanderer offenbart sich ein unwirkliches schauriges, gelbstichig fahles Szenario, das an Zwielicht, an Götterdämmerung oder an einen in Eiseskälte erstarrten anderen Stern denken lässt. Das diente der Altana-Stiftung gehörende Bild aus Almons Fullmoon-Serie sogar als Plakatmotiv der Romantikschau des Hauses »Im Schein des Unendlichen« (Strandgut 1/2013).
Die Ausstellung führt uns auf den Spuren von William Turner in die Eifel oder auf denen Claude Monets nach Giverny. In Amalfi folgte der Lichtspielkünstler den Zeichenskizzen des Romantik-Malers Carl Blechen, die sich nicht etwa dem Küstenzauber des Golfs von Salerno verschrieben, sondern Treppen und Waldwege im touristischen Off. Übrigens nicht bei Nacht, sondern im gleißenden Licht des Mittags.
Aus der romantischen Reihe fallen zwei hohe Triptychons in Schwarzweiß mit sterbenden Baumlandschaften, die in den durch Rohstoffabbau kontaminierten Regionen Sibiriens entstanden. Die Insassen sowjetischer Arbeitslager bauten hier Erze ab. Der Titel »Night & Fog« verweist auf einen Film von Alain Renais über Auschwitz. Am ehesten lässt sich von diesen verstörenden Aufnahmen eine Brücke zum halbstündigen Farbfilm »Bearing« schlagen, der völlig kommentarlos die Arbeitsfron eines indonesischen Schwefelstechers auf der Insel Java dokumentiert und gerade deshalb besonders berührt. Die an seiner Tragestange platzierte Kamera fixiert das Gesicht des fast mechanisch vorwärtsschreitenden keuchenden Mannes, der seinen Atem notdürftig mit einem feuchten Tuch zu schützen versucht, beim mühevollen Aufstieg mit einer in zwei Körben geschulterten giftigen 80-Kilo-Last von Schwefelbrocken. Am 13. Mai kommt Darren Almond zu einem (längst ausverkauften) Gespräch in das Sinclair-Haus. Es wird von hr2 übertragen.

Lorenz Gatt (Foto: © Darren Almond)
Bis 26. Juni: Di. 14–20 Uhr; Mi.–Fr. 14–18 Uhr; Fr., Sa. 10–18 Uhr
www.altana-kulturstiftung.de

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