Mit Zoff und Zores
Der Tod eines geliebten Menschen bringt Familienmitglieder gewöhnlich einander näher. Was seine Vorteile hat, beileibe nicht nur im Guten. Mit der Nähe wächst schließlich die Chance, den anderen verbal oder wörtlich wirkungsvoll dort zu treffen, wo es ihm weh tut, wenn man eine Rechnung offen hat. Und manchmal erkennt man erst aus der kurzen Distanz gerade unter Verwandten, was für ein gerissener Schuft und habgieriges Scheusal der Bruder, die Schwester, der Cousin ist. Besonders, wenn es etwas zu erben gibt. Wie bei den jüdischen Feygenbaums in Manhattan, denen der Großvater weggestorben ist. Wer kriegt die Halskette mit dem das Leben versinnbildlichenden Chaim-Amulett, dem der Selige sein Überleben in einem Konzentrationslager zu verdanken meint? Die gläubige eifernde Daphna? Ihr reicher, spöttischer Cousin Liam, der mit seiner gänzlich ungläubigen Freundin Melody aufkreuzt, nachdem er die Beerdigung verpasst hat? Oder der zurückhaltende Jonah, dem der ganze Streit nur peinlich ist?
Anders als bei der Ringparabel in Lessings »Nathan« gibt es das Amulett nur einmal, was Joshua Harmon, den Autor der US-amerikanischen Satire »Bad Jews« erlaubt, eine hohe Flammen schlagende Familienkrise zu entfachen, in der zum Vergnügen des Publikums keine Gemeinheit, aber auch kein Vorurteil ungesagt – und ungesühnt bleibt. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen des vielleicht irritierenden Titels, mit dem sich nichtpraktizierende Juden gerne ironisch belegen, ist man in Frankfurt nun sehr gespannt, wie das Publikum des English Theatre die deutsche Erstaufführung von »Bad Jews« wahrnehmen wird. Fakt ist dem ET-Chef Daniel Nicolai zufolge, dass sich die Jüdische Gemeinde Frankfurt riesig auf die in den USA und England hoch erfolgreiche dialogstarke Komödie freut, in der es trotz des herrlich bösen Schlacht in der überspannten Familie auch um die Bedeutung der Trauer, des Glaubens und der religiösen Riten geht.
Die Produktion unter Leitung von Jonathan Fox ist in einer Kooperation mit der Theatre Company in Santa Barbara entstanden und feierte nach Redaktionsschluss in Kalifornien ihre Premiere. In New York gecastet wird nun erstmals ein nordamerikanisches Ensemble (Eden Malyn, Stephanie Burden, Cory Kohane, Adam Silber) auf der Frankfurter Bühne zu sehen sein.