Zwei auf einer Bank
Theater Willy Praml: Teil I der Evolutions-Trilogie beginnt mit Texten von Darwin, Ostermaier und Albee
Vollmundig steht es im Programmheft: Welt-Theater. Shakespeare hat das Bild in »Was ihr wollt« geprägt, selbst Elvis hat davon gehört, wollte in »Are You Lonesome Tonight?« aber wohl seine Ex nicht überfordern: »Someone said that the world’s a stage and each must play a part«, hält er sich zurück und fügt ein »You know« an.
In der Lesart der Pramls beschäftigt sich auch Charles Darwin damit: dem Auftreten des Menschen auf der Bühne des Lebens. Der Mensch sei ein soziales Tier, wird der Brite dort jetzt zitiert. Seine Schrift »Biographische Skizze eines Kindes«, in der er die Lern- und Entwicklungsschübe seines Filius William bespricht, bildet die Vorlage des ersten von drei Stücken, mit denen die Theatermacher in der Naxoshalle den Welt-Theater-Zyklus eröffnet haben. Einakter von Albert Ostermaier (»Erreger«) und Edward Albee (»Zoogeschichte«) komplettieren den Auftakt, dem noch Teil II und Teil III folgen.
Es ist ein junger, sympathischer Darwin (Sam Michelsen), der uns da in gewinnendem Ton anschaulich von der Entwicklung der Arten bis hin zum Menschen erzählt. Reagenzgläser, ein Stoffaffe, eine Babypuppe sind im Vordergrund, während weit hinten in der Tiefe der riesigen Halle das kauernde Menschlein sich in weißen Windeln zum Aufbruch anschickt: ins Labor, aber auch ins Leben. Es kriecht und krabbelt, tapst und torkelt zu Scott Joplins Klimperklavier (»Entertainer«) über die philo- und ontogenetischen Bahnen – großartig verkörpert (!) vom Tänzer Andreas Bach, der zugleich demonstriert, wie jedes Kind stets die Geschichte seiner Gattung durchlebt. Vorn angekommen, aber hält der Vater alles wissenschaftlich fest. Das erste Lächeln, die erste Wut. Wie und wann kommen Angst, Moral oder Lust? Was ist ererbt, erfahren, gelernt? Wunderbar wie Darwin dabei auf Fragen wie diese kommt, ob Affen wohl Rechtshänder sind. Schöner wird es an diesem Abend nicht.
Ostermaiers »Erreger« aus dem Jahr 2000 klingt schon ungemütlich, zumal der Untertitel »Ein Trader in Quarantäne« auf einen evolutionären Irrläufer verweist. Wie hingeklatscht klebt da ein Mann im Anzug mit ausgestreckten Armen hoch an einer weißen Wand, mit Klebebändern festgehalten. Freiwillig hängt er da nicht. Ist er krank? Oder eingesperrt? Und wenn ja, warum? Der Mann weiß es selbst nicht, erinnert sich mühsam in Gedankenfetzen. Ein Puzzle über sein Leben, seinen Job vor den Börsenbildschirmen enthüllt einen Banker, der, vom Suchtvirus befallen, selbst zu einem für die Gesellschaft wird. Mit tödlichen Folgen für Frau und Kind, die während seiner Reflexionen immer wieder im Auto auffahren – kein Problem in dieser Halle.
Den manchmal kryptischen, manchmal assoziativen Gedankenstrom bringt der ohnehin tolle Jakob Gail im hier durchaus passenden Praml-Sprech zur Geltung, auch wenn er sich nicht gänzlich erschließt. Zur Interpretation regen aber auch zwei weitere leere Wände an, an denen zerfetzte Gaffa-Reste baumeln. Da hingen noch zwei! Die entkommen konnten! Wie weiland auf Golgatha! Sollte unser Mann am Kreuz den gotteslästernden Schächer vorstellen, dann ist das kein gutes Omen für ihn.
Für Albees »Zoogeschichte« (1958) haben die Bühnenbauer die Kirchenbankreihung gewählt. Doch führt uns die Geschichte zu einer Sitzbank im Central Park, wo der Bildungsbürger Peter (Jakob Gail, völlig verändert) vom extrovertierten Jerry (unerträglich penetrant: Michel Weber) um seine rituelle Sonntagsruhe gebracht wird. Der Fiesling verwickelt den braven Verlagsangestellten in ein Gespräch, belästigt, bedrängt und schubst ihn gar von der Bank, um Peter zu unguter letzt zu einem Akt der Selbstverteidigung zu provozieren, der ihn zum Mörder macht. »Du bist ein Tier«, sind Jerrys letzte Worte.
Albees eng an Beckett angelehntes Stück ist schauspielerisch klasse umgesetzt, wirkt in der Absurdität seiner Dialoge aber manchmal etwas altbacken fünfzigerjahrehaft. Im Kontext des ›zoon politikon‹, das als Raubtier aus dem Zoo zurückgekehrt ist, gibt das anstrengendste Stück dieses mit riesigem Beifall verabschiedeten Abends aber auch am meisten zum Denken. Dem abschließend eingeblendeten Darwin-Zitat, demgemäß »der Mensch trotz all seiner hohen Eigenschaften (…) noch immer den unauslöschlichen Stempel seines niedrigen Ursprungs trägt« wird in diesen Tagen ohnehin niemand widersprechen.